Die Schweiz zwischen Öffnung und Isolation

Genf. In der Schweiz kennt die politische Debatte seit Wochen nur ein Thema: die Öffnung der Grenzen für Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien. An diesem Sonntag werden die Eidgenossen darüber entscheiden

Genf. In der Schweiz kennt die politische Debatte seit Wochen nur ein Thema: die Öffnung der Grenzen für Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien. An diesem Sonntag werden die Eidgenossen darüber entscheiden. Konkret lautet die Frage bei der Volksabstimmung: Soll das Nicht-EU-Mitglied Schweiz das bestehende Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU weiterführen und auf die beiden jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft ausdehnen? Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP) und Gruppierungen wie das "Komitee gegen unkontrollierte Osteinwanderung" sagen ganz klar: Nein. Die SVP schürt Ängste vor einer "Massen-Einwanderung". Die Folgen wären für die Schweiz gravierend, behauptet die Rechtspartei. Die "Kriminalität aus dem Osten" würde unkontrolliert wachsen, der "Lohndruck und mehr Arbeitslosigkeit" würden die Eidgenossenschaft tiefer in die Wirtschaftskrise drücken, und es würde sich ein "Recht auf Einwanderung in die Schweiz" etablieren. Schließlich müssten die Schweizer auch Sozialleistungen für etliche Neuankömmlinge vom Balkan bezahlen. Auf SVP-Plakaten hacken schwarze Vögel auf die Schweiz ein, das Bild suggeriert einen räuberischen Angriff auf Helvetien. Vereinigungen von Bulgaren und Rumänen in der Schweiz protestieren gegen diese aggressive Kampagne. Die SVP stachele den Fremdenhass an, klagen die Migranten. Doch nach aktuellen Umfragen überzeugt die SVP mehr als 40 Prozent der Schweizer mit ihrem schroffen Nein. Die Abstimmung am Sonntag könnte knapp ausgehen. Die Regierung und die Wirtschaft hingegen setzen auf ein Ja, sie wollen mit Übergangsfristen und Klauseln das Freizügigkeitsabkommen auf Rumänien und Bulgarien ausweiten. Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard warnt ihre Landsleute: "Wir wollen keine Isolation." Denn das Nein der Eidgenossen zur Personenfreizügigkeit würde ein gesamtes, mühsam verhandeltes Vertragsabkommen mit der EU kippen. Vereinbart wurden Regelungen über den Abbau technischer Handelshemmnisse, das öffentliche Bildungswesen, Luft- und Landverkehr, Landwirtschaft und Forschung. Gerade in einem wirtschaftlich schwierigen Jahr wäre ein Nein das Dümmste, was wir tun könnten, betont Ministerin Leuthard. Die Regierung wirbt mit weiteren guten Argumenten: Seit sechs Jahren herrscht ein Abkommen über Personenfreizügigkeit mit der EU, die positiven Erwartungen der Wirtschaft hätten sich erfüllt. Und ein Papier des siebenköpfigen schweizerischen Kabinetts, des Bundesrates, hält fest: "Aus der EU wanderten insbesondere gut qualifizierte Arbeitskräfte zu." Allgemein habe sich die Zuwanderung aus den EU-Ländern verstärkt, dagegen sei die Zahl der Migranten aus Balkanstaaten und der Türkei gesunken. Tatsächlich finden inzwischen immer mehr Bundesbürger den Weg nach Zürich, Bern oder Basel. Die Deutschen gehören zur größten Gruppe der Ausländer: Mehr als 220 000 Menschen aus der Bundesrepublik leben unter den 7,5 Millionen Schweizern. Viele Deutsche siedelten sich erst in den letzten Jahren an, überzeugt durch die guten Löhne und die hohe Lebensqualität. Sie arbeiten als Mediziner, Wissenschaftler, in Hotels und im Management von Firmen. Weitere große Gruppen sind Italiener und Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Insgesamt haben rund 22 Prozent der Männer, Frauen und Kinder, die in der Eidgenossenschaft leben, keinen Schweizer Pass. Das ist eine der höchsten Ausländer-Quoten in Europa - und Basis für die aggressive Kampagne der Rechten.

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