Die Piraten bleiben eine Partei voller Widersprüche

Berlin. Irgendwann platzte es gestern in der oberen Etage eines Cafés in Berlin Prenzlauer Berg aus Piraten-Chef Bernd Schlömer heraus. "Ich will jetzt mal Politik machen", rief der Vorsitzende. Es werde keinen Streit und keine Debatten mehr geben so kurz vor dem beginnenden Bundestagswahlkampf

Berlin. Irgendwann platzte es gestern in der oberen Etage eines Cafés in Berlin Prenzlauer Berg aus Piraten-Chef Bernd Schlömer heraus. "Ich will jetzt mal Politik machen", rief der Vorsitzende. Es werde keinen Streit und keine Debatten mehr geben so kurz vor dem beginnenden Bundestagswahlkampf. Bruno Kramm, Oberpirat aus Bayern, meinte jedoch: "Wir empfinden den Vorstand nur als etwas Verwaltendes." Für Inhaltliches seien die Spitzenkandidaten in den Ländern zuständig. Ja, was denn nun? Verwalter oder Gestalter?Die Szene von der Pressekonferenz der Piraten war so etwas wie ein Beleg für die vielen Widersprüche, mit denen die Partei zu kämpfen hat. Der bis aufs Blut geführte Führungsstreit hat seine Spuren hinterlassen, von einem großen thematischen Aufschlag sind die Piraten nach wie vor weit entfernt. Und immer noch ist nicht klar, wer eigentlich Politik machen darf: allein die Basis - oder auch ihre gewählten Vertreter? Und wenn Letztere, wer darf sich dann besonders profilieren, ohne gleich im Netz von anderen massiv angefeindet zu werden?

Viele Fragen sind also offen bei den Newcomern des letzten Jahres, die so ambitioniert einen Landtag nach dem anderen gekapert hatten. Die dann aber bei den Landtagswahlen in Niedersachsen eine herbe Schlappe hinnehmen mussten und inzwischen in den Umfragen zur Bundestagswahl deutlich unter fünf Prozent liegen. Es ist nicht so, dass sich ein Teil der führenden Protagonisten keine Mühe geben würde, die Selbstdemontage endlich zu beenden. Der Vorstand legte gestern eine Online-Umfrage unter den Mitgliedern vor, um endlich politisch in die Offensive zu gelangen. Herausgekommen ist dabei, den anstehenden Parteitag Mitte Mai in Neumarkt (Bayern) nur dem Programm zu widmen, es soll keine Neuwahlen geben. Wenn überhaupt sollen lediglich Nachwahlen für zwei vakante Beisitzer-Positionen stattfinden.

Bei den Wahlkampfthemen landeten Freiheit und Grundrechte, Mitbestimmung, Datenschutz und Netzpolitik auf den ersten vier Plätzen. Mit einer "klugen Kampagne" müsse jetzt der Bürger gewonnen werden, sagt Schlömer. Nur dann könne man im Lagerwahlkampf der Etablierten "punkten". Außerdem wolle man die Partei sein, "die die richtigen Fragen stellt".

Die Umfrage hat jedoch ihre Haken. Nur 5000 von knapp 31 500 Piraten haben sich daran beteiligt, das sind magere 16 Prozent. Außerdem wurden die Mitglieder um die Bewertung ihres Führungspersonals gebeten, was für neuen Streit sorgen dürfte. Schlömer berichtete, er habe insgesamt die Schulnote 3,2 bekommen. Kommentare zu seiner Person wolle er aber nicht öffentlich machen - sie reichten von "mehr zutrauen" bis "zurückhaltender sein". Johannes Ponader, der umstrittene politische Geschäftsführer, den einige Piraten seit Monaten loswerden wollen, verfuhr prompt anders: Laut eigener Veröffentlichung erhielt er die Note 6 von den Mitgliedern. Er wirke "sehr abstoßend", sei "eine Beleidigung der Wähler", ein "verstrahlter Spinner", so einige Kommentare milderer Art. Ponader, ein Exzentriker, der sich nicht nur mit Schlömer überworfen hat, sieht das gelassen. Bei der Pressekonferenz lauerte er im Hintergrund, vor die Mikrofone wurde er nicht gelassen. Dafür redete Ponader zum Ärger der anderen Piraten anschließend: Er werde nicht zurücktreten, auch zweifele er die Aussagekraft der Umfrage an. Kein gutes Zeichen, was das erhoffte Ende der Selbstdemontage der Piraten angeht.

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