Die neue griechische Tragödie

Es sind Bilder, die niemanden unberührt lassen dürfen. Verzweifelte Flüchtlinge rennen gegen die mazedonisch-griechischen Grenzanlagen an. Gestern waren es 25 000 Gestrandete auf hellenischem Boden.

In wenigen Tagen könnten es 100 000 sein. Was geschieht dann? Die EU-Kommission wird heute ein Notprogramm vorlegen, um dem ohnehin schon so ausgebluteten griechischen Staat zu helfen. 500 oder 700 Millionen Euro seien nötig, hieß es gestern. Angeblich hat Athens Premier Alexis Tsipras selbst schon 470 Millionen beantragt - für Polizisten, die die Ankommenden registrieren sollen, für Lebensmittel, medizinische Hilfe, Betten, Decken, Zelte. Es fehlt am Nötigsten.

Doch in das Mitleid mischt sich längst auch kühle Nüchternheit der griechischen Nachbarn. Sie fragen nicht zu Unrecht, warum Athen über Jahre hinweg alle seine Verpflichtungen aus dem Schengen-Abkommen ignoriert oder verschlafen hat. Warum längst bereitgestellte Hilfe ausgeschlagen wurde. So können die Hellenen aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU für die Jahre 2014 bis 2020 immerhin über 509 Millionen Euro verfügen. Aber bis Mitte Januar hatte es nur 33 Millionen abgerufen. Kein Wunder, dass die Geduld der Nachbarn erschöpft ist und sie nicht länger verstehen wollen, warum das Land seinen Verpflichtungen für Kontrolle, Versorgung und Asylverfahren nicht nachkommt, sondern die Ankommenden einfach nur durchwinkt. Und die Last damit bei anderen ablädt. Dass Österreich einen Schulterschluss mit den Ländern entlang der Balkanroute gesucht hat, um dieses Loch in der EU-Außengrenze zu stopfen, erscheint da ebenso verständlich wie die griechische Wut über die Folgen dieser Entscheidung.

Dass die Brüsseler Kommission nun einiges anbietet, um "das menschliche Leid" zu lindern, wie es gestern ein Sprecher ausdrückte, ist zwar überfällig, aber keine wirkliche Lösung. Ohne politische Verständigung verändert sich außer der Zahl derer, die auf hellenischem Boden dahinvegetieren, nichts. Wenn die Staats- und Regierungschefs am Montag mit ihrem türkischen Amtskollegen in Brüssel zusammentreffen, wird daher nicht weniger als ein Wunder gebraucht. Es geht nun mal weniger um Geld als vielmehr um Solidarität - wenn nicht innerhalb der EU, so doch wenigstens mit den hilfesuchenden Menschen. Die Reise-Diplomatie der Außenminister, des EU-Ratspräsidenten , der Syrien-Kontaktgruppe ist beeindruckend, aber ohne Ergebnisse nichts wert. Wenn es ab Montag nicht eine spürbare Entspannung der Situation für die Zuwanderer und die sie aufnehmenden Europäer gibt, haben alle versagt. Dann werden die Bilder von der EU-Außengrenze uns noch lange begleiten. Das darf niemand zulassen.

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