Analyse Die neue Bundestagsvize startet beschädigt

Berlin · Eigentlich wäre die Wahl von Dagmar Ziegler zur Bundestagsvizepräsidentin am Mittwoch Routine gewesen. Die 60-jährige SPD-Frau folgt auf den verstorbenen Thomas Oppermann; die Sozialdemokraten hatten das Vorschlagsrecht.

 Dagmar Ziegler (SPD) ist neue Bundestagsvizepräsidentin.

Dagmar Ziegler (SPD) ist neue Bundestagsvizepräsidentin.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Ziegler ist eine solide Nachbesetzung, man hört im Bundestag nichts Schlechtes über sie. Erfahren in acht Jahren als Landesministerin in Brandenburg, erst für Finanzen, dann für Gesundheit. Seit elf Jahren als Abgeordnete erfahren mit dem Parlamentsbetrieb im Bundestag, darunter vier als stellvertretende Fraktionsvorsitzende und drei als parlamentarische Geschäftsführerin.

Trotzdem hätte diese Personalie beinahe den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, eine der wenigen Lichtgestalten in der Führung der Partei, zu Fall gebracht, ebenso seinen parlamentarischen Geschäftsführer Carsten Schneider. Denn Ziegler war die Idee der beiden. Und diese Idee löste am Dienstag einen offenen Aufstand in den eigenen Reihen aus. Mit Ulla Schmidt, der langjährigen Gesundheitsministerin, trat unerwartet eine Gegenkandidatin an. In der Fraktionssitzung ergab die erste Abstimmung ein Patt von 66 gegen 66 Stimmen bei vier Enthaltungen. Erst nach einer Sitzungsunterbrechung und einer intensiven Diskussion in ihrer nordrhein-westfälischen Landesgruppe verzichtete Schmidt. Sie wollte Mützenich nicht weiter beschädigen und bekam für diese Geste stehenden Applaus in der Fraktion.

Mützenichs Überlegung war es gewesen, mit der gebürtigen Leipzigerin Ziegler endlich wieder eine Ostdeutsche in ein hohes Amt zu hieven. Von dieser Seite erhielt Ziegler denn auch sogleich Unterstützung, unter anderem von Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Und tatsächlich setzt sich die Brandenburgerin in ihrer parlamentarischen Arbeit sehr für die Belange der neuen Länder ein. Ihr Wahlkreis reicht von Nauen an der Berliner Stadtgrenze über 140 Kilometer bis zur Elbe.

Allerdings hat Ziegler bereits angekündigt, gar nicht wieder für den Bundestag kandidieren zu wollen, so dass die Besetzung den Ostdeutschen nicht lange nutzen wird. Außerdem machte sie bei ihrer Bewerbungsrede in der Fraktion eine unglückliche Figur, wurde berichtet. Sie beklagte die mangelnde Repräsentanz von Politikern aus den neuen Ländern und erinnerte in diesem Zusammenhang etwas unpassend an die Reparationen, die die Sowjets einst dem Osten abverlangt hatten, inklusive demontierter Gleise.

Ulla Schmidt (71) kam da besser an. Sie konnte zudem einen gewissen moralischen Anspruch auf das Amt geltend machen, denn 2017 hatte sie Thomas Oppermann aus rein machtpolitischen Gründen weichen müssen, obwohl sie zuvor eine geachtete Bundestagsvizepräsidentin gewesen war. Nicht wenige Sozialdemokraten hatten das Gefühl, ihr gegenüber etwas gut machen zu müssen. Für Mützenich wäre es ein Leichtes gewesen, sie für die verbleibenden zehn Monate als Übergangslösung vorzuschlagen, zumal auch Schmidt bei der Bundestagswahl nicht wieder antritt. „Mützenich hat ein bisschen das Bauchgefühl verloren“, sagte ein Abgeordneter und erinnerte daran, dass schon die Besetzung der Position des Wehrbeauftragten mit Eva Högl im Mai zu ähnlichen Turbulenzen geführt hatte. 

Ziegler ist an all dem unschuldig. Obwohl sie im Parlament 536 von 657 abgegebenen Stimmen erhielt, startet sie doch geschwächt in eine Aufgabe, die viel Autorität und Souveränität erfordert, seit es im Bundestag wegen der AfD ständig turbulent zugeht. Und Zeit zur Einarbeitung hat sie nicht.

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