Die Nato wird gebraucht

Meinung · Das Bündnis hält nicht mehr. Zwei Jahre vor dem offiziellen Ende des Afghanistan-Einsatzes der Nato packen die Ersten bereits ihre Sachen. Der vorzeitige Abzug der Franzosen lässt vergessen, dass Belgier und Niederländer schon im Sommer die Heimreise antreten. Dabei hat der offizielle Abzugstermin ohnehin bestenfalls symbolische Bedeutung

Das Bündnis hält nicht mehr. Zwei Jahre vor dem offiziellen Ende des Afghanistan-Einsatzes der Nato packen die Ersten bereits ihre Sachen. Der vorzeitige Abzug der Franzosen lässt vergessen, dass Belgier und Niederländer schon im Sommer die Heimreise antreten. Dabei hat der offizielle Abzugstermin ohnehin bestenfalls symbolische Bedeutung. Bei den Militärs in Brüssel laufen die Planungen für die Zeit nach 2014: 10 000 bis 15 000 Soldaten von Kampftruppen werden bleiben, 3,2 Milliarden Euro pumpen die westlichen Staaten noch mindestens zehn Jahre ins Land. Dennoch ist die Gefahr eines Rückfalls in die Taliban-Herrschaft, ja sogar ein Überlaufen von einheimischen Sicherheitskräften, die die Nato ausgebildet hat, zu befürchten.Die Allianz tut so, als gäbe es für sie nach 2014 das Problem am Hindukusch nicht mehr. Ein Irrtum: Frühestens Ende 2024 wird der letzte westliche Militärangehörige das Licht ausmachen. Dabei ist das Bündnis längst nur noch mit halbem Herzen dabei. Trotz erkennbarer Erfolge in einigen Landesteilen wollen alle einfach nur noch weg, können aber keinen Abzug riskieren, der die ganze Mission als Reinfall erscheinen lässt. Die Region kommt nicht zur Ruhe, weil die Nachbarn es nicht wollen. Politische Bündnisse gibt es, aber die haben kein Interesse an einem stabilen, friedlichen Land.

Das ist das Dilemma der Nato. Ihr Einsatz erweckt den Eindruck, die Befriedung Afghanistans sei in erster Linie eine militärische Frage. Das war sie am Anfang. Längst geht es um politische Interessen. Aber die Allianz kann keine Politik machen. Das größte Militärbündnis der Welt mag zur Intervention geeignet sein. Aber die Lehren aus den Einsätzen der letzten Jahre gehen in eine andere Richtung: Militärische Aktionen befrieden nicht, sondern reißen neue Fronten auf. So steht das Bündnis 63 Jahre nach seiner Gründung vor der existenziellen Frage: Wo hat es seinen Platz in der Zukunft, wenn es keine diplomatisch-politischen Instrumente hat?

Natürlich gibt man mit dem Abwehrschild eine Antwort, die sogar notwendig und richtig ist. Nicht nur Verteidigung, sondern auch Aufrechterhaltung der Sicherheit ist eine Zukunftsaufgabe. Auch wenn das Bewusstsein für Bedrohungen in weiten Teilen der Öffentlichkeit schwindet: Das kann sich schnell als naiv erweisen. Die Gefahr, dass aus regionalen Spannungen wie im arabischen Raum oder im Nahen Osten ein eskalierender Konflikt wird, ist nicht gering. Zur Verteidigung könnte die Nato schneller gebraucht werden, als uns lieb ist. Insofern geht das Bündnis einen realistischen Weg: Es muss schlagkräftig bleiben, ohne zuschlagen zu wollen. Die in Chicago gefassten Entschlüsse sind ein Weg dahin. Sollte sich nach Jahren herausstellen, dass die milliardenschwere Aufrüstung unnötig war, hat sie ihren Sinn erfüllt.

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