Die Linke schaut schaudernd in ihre alten Abgründe

Berlin/Saarbrücken. Ein Riss geht durch die Linke. Vor ihrem politischen Jahresauftakt heute in Berlin ist der Machtkampf der Lager voll entbrannt: hier die Anhänger des erkrankten Parteichefs Oskar Lafontaine, dort die von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch

Berlin/Saarbrücken. Ein Riss geht durch die Linke. Vor ihrem politischen Jahresauftakt heute in Berlin ist der Machtkampf der Lager voll entbrannt: hier die Anhänger des erkrankten Parteichefs Oskar Lafontaine, dort die von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Die Vorsitzenden von Partei und Fraktion, Lothar Bisky und Gregor Gysi, wollen bei der Klausur im Kongresszentrum am Alexanderplatz reden und Orientierung bieten. Doch der einzige, der das derzeit wirklich könnte, fehlt: Lafontaine. Sein überraschendes Abtauchen wegen einer Krebsoperation hinterließ ein Vakuum. Gerade mal acht Wochen ist das her. Den meisten in der Linken dürfte es wie eine kleine Ewigkeit vorkommen: Eine ganze Partei ist verunsichert. Und wartet. Denn vier Monate vor dem Rostocker Bundesparteitag im Mai ist völlig unklar, wie die künftige Führungsspitze aussieht. Das alte Erfolgsteam - neben Bisky, Gysi, Lafontaine und Bartsch gehört auch Thüringens Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow dazu - löst sich derweil auf. Die Mannschaft, die aus PDS und WASG eine gesamtdeutsche Kraft schmiedete und reihenweise Wahlerfolge einfuhr, ist zum "Intrigantenstadl" ("Berliner Kurier") geworden. Lafontaine lag noch nicht auf dem Operationstisch, da forderte Ramelow bereits ein Nachdenken über die Zeit nach Lafontaine - und bekundete gleich eigene Ansprüche. Auch Bartsch hegt Ambitionen auf den Parteivorsitz. Lafontaine-Getreue verdächtigen ihn, Gerüchte über eine angebliche Affäre des verheirateten Saarländers mit der Kommunistin Sahra Wagenknecht lanciert zu haben. Als jetzt Brandbriefe an Gysi auftauchten, in denen die Landeschefs von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wegen "menschenverachtender" Illoyalität Bartschs Rücktritt forderten, eskalierte der Streit. Während sich Bisky und Gysi um Ausgleich bemühen, werden die Gräben zwischen Pragmatikern und Dogmatikern eher größer. Die einen - meist ostdeutsche Parteimitglieder - wollen eine Öffnung zur SPD und schrecken in Koalitionen auch vor größeren Kompromissen nicht zurück. Diese Haltung verkörpern Bartsch und Ramelow. Die anderen setzen auf einen strikt ideologischen Protestkurs mit "weißer Weste". Die meisten West-Landesverbände fahren diese Linie der Fundamental-Opposition, für die vor allem Lafontaine steht. Der Konflikt schwelte in der vereinten Linken von Anfang an, wurde aber bisher einigermaßen unterm Deckel gehalten. Das rächt sich jetzt. Bis heute hat die Partei kein richtiges Programm, nur "Eckpunkte". Die Programmdebatte sollte erst beim Parteitag im Mai beginnen.Eine einvernehmliche Lösung der aktuellen Querelen ist fraglich. Zu zerrüttet scheint das Verhältnis von Lafontaine und Bartsch, die angeblich schon länger nicht mehr miteinander sprechen. Der Saarländer soll gar die Ablösung des Bundesgeschäftsführers zur Bedingung für seine Kandidatur zum Parteivorsitz gemacht haben. Dennoch muss Bartsch nicht bange sein: Der Strippenzieher im Karl-Liebknecht-Haus weiß alle ostdeutschen Landesverbände hinter sich. Lafontaine dagegen ließ sich schon vor der Bundestagswahl nur selten in der Parteizentrale blicken, und der ohnehin scheidende Ko-Vorsitzende Bisky ist seit der Europawahl als Parlamentarier in Straßburg ausgelastet. So ist die vermeintliche Doppelspitze derzeit eher eine halbe - und Bartschs Einfluss gewachsen.Lafontaine aber schweigt. Seit er sich im November per Pressemitteilung abmeldete, richtete er kein Wort mehr an die Partei. Am 19. Januar will er beim Saarbrücker Neujahrsempfang der Linken erstmals wieder politisch auftreten. Die Spannung steigt.

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