Die Linke im Aufwind

Für die pragmatischen Kräfte bei den Linken dürfte der gestrige Tag doppelten Anlass zur Freude gegeben haben: Ihre Galionsfigur Gregor Gysi bleibt alleiniger Fraktionschef im Bundestag, und das Bundesverfassungsgericht erteilte der Überwachung von Linkspolitikern durch den Verfassungsschutz eine Abfuhr. Jeder Vorgang für sich ist ein politisches Signal, beide sind bedeutsam für den weiteren Kurs der Partei.



Das Ergebnis der Bundestagswahl hat die Linke in eine komfortable Lage versetzt. Dass man einmal drittstärkste Kraft im Parlament werden und damit aller Voraussicht nach auch die Oppositionsführerschaft übernehmen würde, das hatten auch die größten Optimisten in der Partei nicht zu träumen gewagt. Nun aber stellt sich die Frage, wie die Linke mit ihrer neuen Rolle umgeht. Eine erste Antwort gibt das Ergebnis der jüngsten Fraktionswahl: Statt Sahra Wagenknecht als Co-Chefin ins Rampenlicht zu rücken, wie es die radikalen Kräfte gern gesehen hätten, bildet Gysi weiter die Solo-Spitze. Die Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine hält wenig von einer Annäherung an SPD und Grüne, Gysi umso mehr. Seine Linie hat sich uneingeschränkt durchgesetzt.

Nicht dass die drei Parteien jetzt im Parlament gemeinsame Sache machen würden. Aber längerfristig womöglich schon. In Hessen fand gerade eine rot-rot-grüne Sondierungsrunde über die Bildung einer künftigen Landesregierung statt. Und der linke SPD-Flügel erklärte bereits mehrfach, das linke Tabu müsse spätestens 2017 abgeräumt sein. Die Absage an Wagenknecht ist ein Baustein dafür, das gestrige Verfassungsgerichtsurteil ein weiterer. Denn ohne die Überwachungspraxis dürfte die gesellschaftliche Akzeptanz der Linken wachsen. Im Osten sind sie ohnehin Volkspartei, im Westen könnten sie dauerhaft über fünf Prozent bleiben. Es mutet auch ziemlich lächerlich an, Politiker wie Gysi, Dietmar Bartsch oder Bodo Ramelow in die linksextremistische Ecke zu stellen. Das wirkt wie ein Relikt aus dem kalten Krieg. Die Linke gehört politisch unter die Lupe genommen, aber nicht kriminalisiert.

Wahr ist freilich auch, dass die Partei mit diesem Stigma ganz gut gelebt hat. Warum nach Konzepten fragen, wenn man den "Märtyrer" spielen kann? Davon wird sich die Linke nun verabschieden müssen, wie überhaupt von manch altem Zopf. Ihre internen Grabenkämpfe sind jedenfalls nicht ausgestanden. Noch im vorigen Jahr hatte Gysi den "Hass" in der eigenen Truppe beklagt. Gut möglich, dass das ordentliche Abschneiden bei der Bundestagswahl erst einmal lagerübergreifend für Disziplin sorgt. Aber der Frieden bleibt brüchig. Nicht nur die anderen, auch die Linken müssen sich ändern. Andernfalls kann Gysi das Projekt Regierungsfähigkeit vergessen.

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