Die liberale Ein-Punkt-Partei

Meinung · Eine "geistig-moralische Wende" versprach einst Helmut Kohl. Guido Westerwelle beansprucht für sich die "geistig-politische Wende". Fragt man den FDP-Vorsitzenden nach dem Gehalt dieses Projekts, so spricht er von einer Politik für die Mittelschicht, wahlweise auch "die Mitte" genannt. Gemeint ist deren steuerliche Entlastung

Eine "geistig-moralische Wende" versprach einst Helmut Kohl. Guido Westerwelle beansprucht für sich die "geistig-politische Wende". Fragt man den FDP-Vorsitzenden nach dem Gehalt dieses Projekts, so spricht er von einer Politik für die Mittelschicht, wahlweise auch "die Mitte" genannt. Gemeint ist deren steuerliche Entlastung. Das Wort Moral kommt in dieser Definition nicht vor. Zu Recht nicht. Denn neben der Linken ist die FDP die einzige Partei, die erklärtermaßen die Interessen einzelner Gruppen vertritt. Dort die Hartz-IV-Empfänger, hier die Menschen mit mittlerem Einkommen. Auch die mit gutem Einkommen, darf man hinzufügen. Denn die begünstigt die von den Liberalen angepeilte Steuerreform noch ein wenig mehr. Ähnlich wirkt übrigens auch die geplante Kopfpauschale in der Krankenversicherung. Was die oben mehr haben, müssen die unten bezahlen. Das ist Umverteilungspolitik. Einen Vorgeschmack darauf geben viele Städte und Gemeinden, die schon jetzt bei einbrechenden Steuereinnahmen Kita-Gebühr und Hundesteuer erhöhen müssen. Neben der Linken ist die FDP auch die einzige Partei, die sich um die Nachhaltigkeit ihrer Politik wenig schert. Kommt das Geld dort aus Reichen-Steuer oder höherer Verschuldung, so muss bei den Liberalen das Prinzip Hoffnung herhalten. Steuerentlastung soll Wachstum stimulieren und so höhere Steuereinnahmen bringen. Wenn das nicht funktioniert, und es wird nicht im erhofften Umfang funktionieren, dann wird bei den Ausgaben gekürzt - unten, darf man vermuten. Die FDP ist, wie die Linke, eine Ein-Punkt-Partei geworden, die gar nicht erst beansprucht, die Gesellschaft insgesamt zusammenzuhalten. Die Vehemenz, mit der Westerwelle diese Strategie aus Oppositionszeiten auch als Vizekanzler verteidigt, zeigt, dass er sie für ein langfristiges Erfolgsrezept hält. Und das könnte sogar stimmen. Vielleicht sind die Wahlerfolge der Liberalen und der Linken ja tatsächlich ein Hinweis darauf, dass das Ego in der Gesellschaft neuerdings groß und das Verantwortungsgefühl fürs Ganze klein geschrieben wird. Noch ist das freilich nicht bewiesen. Noch mag man die Volksparteien nicht aus ihrer Pflicht entlassen, Überzeugungsarbeit für ihre Linie des sozialen Ausgleichs zu leisten. Jede in ihrem Revier. Die SPD muss als Oppositionspartei neues Vertrauen aufbauen. Und die Union wird als führende Regierungspartei noch in diesem Jahr gefragt sein, sich der Unvernunft und der Entsolidarisierung zu widersetzen. Zum Beispiel bei einer Steuerreform auf Pump und einer Gesundheitsreform zu Lasten der Schwächeren.

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