Die lautlose Gefahr

Es gibt Leute, die empört reagieren, wenn man sie um ihre Kontonummer mit Passwort und die Zugangsdaten zum Handy bittet. Und die entgeistert fragen, ob man noch sauber tickt, wenn man ihre Patienten-Akten und Bankauszüge einsehen will.

Was aber tatsächlich verblüfft: Viele dieser Menschen haben gleichzeitig Verständnis für die Vorratsdatenspeicherung und winken müde ab, wenn neue Details über die NSA-Spionage bekannt werden. Ist das paradox? Ja, es ist paradox.

Die Bedrohung durch die anlasslose Massenüberwachung der Bevölkerung und der Wirtschaft durch staatlich legitimierte Geheimdienste wird grandios unterschätzt. Da man die Gefahr weder sieht noch riecht, neigen die Menschen dem Glauben zu, der Staat werde schon dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Wer so denkt, verrät indes Naivität, denn er vernachlässigt nicht nur menschliche Fehler und Schwächen, sondern auch politische Realitäten: Macht ist niemals klinisch rein, und die Mächtigen sind niemals vor Verlockungen gefeit.

Was ist mit der Überwachung, wenn mal andere Kaliber das Ruder übernehmen? Selbst im demokratisch gesinnten Europa zeigt das Beispiel Ungarn, wie schnell Systeme kippen können. Oder die Türkei: Innerhalb weniger Jahre hat (der demokratisch gewählte) Präsident Erdogan einen ins Reaktionäre driftenden Staat gezimmert. Mit Hilfe der Geheimdienste.

Auch darum geht es bei der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung , die gestern durch den Vorschlag bereichert wurde, das Gesetz zeitlich zu befristen. Kaum jemand wird etwas gegen befristete Speicherung haben, wenn die Sicherheitsbarriere so hoch gelegt wird, dass Missbrauch ausgeschlossen ist. Wenn aber die "Aufsicht" über die Dienste so lax gehandhabt wird, dass nicht mal die Parlamentarischen Kontrolleure wissen, was BND oder MAD tatsächlich treiben, ist Skepsis angebracht. Gewiss, die Geheimniskrämerei der Dienste ist sachlich und historisch durchaus begründet. Aber wir leben nicht mehr im Zeitalter der Schlapphüte mit hochgeklapptem Mantelkragen. Die technischen Möglichkeiten sind heute so immens, dass die Kontrolle der Dienste mindestens so oft ein Update braucht wie deren Schnüffelprogramme.

Ja, es stimmt: Das Vertrauen zwischen NSA und BND ist beschädigt. Fragt sich nur, wer daran schuld ist. Doch nicht die Dienste müssen die Bevölkerung unter Kontrolle haben, wie NSA-Generale meinen, sondern die Bevölkerung die Dienste. Leider macht die Kanzlerin im Konflikt mit den USA um die digitale Souveränität Deutschlands keine gute Figur. Es wird Zeit, dass Angela Merkel selbstbewusster auftritt und auch mal Klartext redet. Sie könnte dabei den berühmten Amerikaner Benjamin Franklin zitieren: "Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird am Ende beides verlieren."

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