Die Kultur auf dem Verschiebe-Bahnhof

Saarbrücken. Verlässt Generalintendantin Dagmar Schlingmann das Saarländische Staatstheater, droht deshalb noch keine Kultur-Katastrophe. Mit viel Glück lässt sich auch in großer Zeitnot ein geeigneter Nachfolger oder eine Interims-Lösung finden. Freilich würde man den Verantwortlichen bessere Begleiter beim Problem-Management wünschen: Souveränität und Kompetenz

Saarbrücken. Verlässt Generalintendantin Dagmar Schlingmann das Saarländische Staatstheater, droht deshalb noch keine Kultur-Katastrophe. Mit viel Glück lässt sich auch in großer Zeitnot ein geeigneter Nachfolger oder eine Interims-Lösung finden. Freilich würde man den Verantwortlichen bessere Begleiter beim Problem-Management wünschen: Souveränität und Kompetenz. Doch woher nehmen in einem Ressort, das kaum Kontinuität kennt?Seit mehr als 20 Jahren wird das Kulturressort hin und her geschubst wie eine Billardkugel. Am brutalsten in den vergangenen vier Jahren: Drei Mal wechselte die Zuständigkeit, die Minister erledigten die Kultur neben ihren "Hauptjobs" wie Bildung, Familie, Staatskanzlei, Europa oder Innenpolitik. Erst vor knapp fünf Monaten übernahm Stephan Toscani (CDU). In einer großen Koalition aber dürfte wieder jemand Neues die Verantwortung übernehmen - und sich erst mal einarbeiten.

Das hat Tradition. Bereits unter den Sozialdemokraten wurde die Kultur mal ans Bildungsministerium angehängt, dann wieder abgekoppelt. In SPD-Tagen oblag dem Kulturminister sinnvollerweise die Verantwortung für den Denkmalschutz, die CDU löste die Verbindung wieder. In die Reihe der Irrungen und Wirrungen gehört auch ein gescheitertes Peter-Müller-Experiment: die 1999 eingerichtete und wegen Ineffizienz schnell wieder kassierte "Stabsstelle Kultur" samt "Berater" Michel Friedmann. Brüche, wohin man schaut. Selbst die rund 30 Mitarbeiter der Kulturabteilung wurden schließlich Teil des Verschiebe-Bahnhofs, zogen 2009 zum zuständigen Minister Karl Rauber (CDU) in die Staatskanzlei. Unnötig. Das Domizil ihres nächsten Dienstherrn Toscani, das Innenministerium, liegt einige hundert Meter entfernt. Darin nur eine räumliche Trennung zu sehen, wäre naiv.

Die Kultur, ein lästiges Anhängsel? Man hält sie offensichtlich für ein Neigungs-, nicht für ein Grundsatz-Fach, für eine Nebentätigkeit im Regierungs-Alltag. Das rächt sich, was beispielsweise Rauber zu spüren bekam. Mitten in seiner nur zweijährigen Amtszeit explodierten der Gondwana- und der Stiftungs-Skandal. Seitdem kann von qualifizierter Kulturpolitik nicht mehr die Rede sein. Der vorerst letzte CDU-Minister, der für Tatendrang und volles Engagement stand, war Jürgen Schreier (CDU), von 1999 bis 2007 im Amt. Ein "Macher", der allerdings auch Probleme hinterließ: Finanz- und Kontroll-Löcher bei der Stiftung Kulturbesitz, Misstrauen im Staatstheater ob des Sparkurses. Desolate Umstände. Wie könnte da noch eine kraftvoll-inspirierende Kulturpolitik stattfinden?

Die Chance dazu bestünde durchaus, hinge nicht alles an der Person des Ministers. Doch im Ministerium gibt es keine ernst zu nehmende zweite Führungsebene, dort fehlt eine Autorität nach dem Muster eines Staatssekretärs Gerd Wack (CDU) im Finanzministerium. Zwar stehen die Kulturkoordinatorin Susanne Reichrath und die Kulturabteilungsleiterin Helga Knich-Walter als Langgediente für Erfahrung, doch sie glänzen nicht durch Gestaltungswillen, sondern durch Unauffälligkeit. Es mangelt zudem an politischer Vernetzung und deshalb an Durchsetzungs-Macht. So wünschte man denn, der nächste Kultur-Verantwortliche möge vor Amtsantritt das eigene Engagement, die Strukturen und die Mannschaft überdenken.

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