Die Kieler Koalition liegt in Justitias Hand

Kiel. Hochspannung im hohen Norden: Sieben Verfassungsrichter entscheiden heute über die Zukunft der Landesregierung in Kiel. Sie könnten auch das Karriere-Ende von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) beschleunigen

Kiel. Hochspannung im hohen Norden: Sieben Verfassungsrichter entscheiden heute über die Zukunft der Landesregierung in Kiel. Sie könnten auch das Karriere-Ende von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) beschleunigen. Wird der Regierungschef mit seiner schwarz-gelben Koalition die parlamentarische Mehrheit verlieren? Verlangt das Gericht nur ein neues Wahlgesetz, weil das alte verfassungswidrig ist? Oder ordnet es zusätzlich eine Neuwahl an? Elf Monate nach der Landtagswahl, die dem spektakulären Bruch einer verkorksten großen Koalition folgte, bietet Schleswig-Holstein wieder Spekulationen en masse. Mancher rüstet sich schon zum Wahlkampf. Weil es um die Macht im Land und um die Handlungsfähigkeit der Regierung geht, ist die Nervosität groß. Schuld an der vertrackten Lage sind die Landespolitiker selbst, weil ihr Wahlgesetz den Verfassungsvorgaben in der Praxis zuwiderläuft. So sitzen statt der festgeschriebenen 69 Abgeordneten jetzt 95 im Landtag, mit der denkbar knappen Mehrheit von 48 zu 47 für Schwarz-Gelb. Falls das Gericht die Mandatsvergabe nachträglich ändert, würden es 101 Parlamentarier: 50 für CDU/FDP, 51 für die bisherige Opposition aus SPD, Grünen, Linken und Südschleswigschem Wählerverband (SSW). Die meisten Auguren erwarten das nicht, aber auch Wahrsager können ja irren.Im Kern geht es um die Frage, ob das Kieler Wahlgesetz verfassungsgemäß ist. Weil sie das bezweifeln, reichten Grüne und SSW Normenkontrollklage ein. Es geht aber auch konkret darum, ob die Wahlleiterin das Gesetz korrekt ausgelegt und die Sitzverteilung Bestand hat. Dagegen liegen Wahlprüfungsbeschwerden aus dem linken Lager vor. Der Konflikt rankt sich um die Überhangmandate, elf davon gingen bei der Wahl vom 27. September an die CDU. Solche Mandate entstehen, wenn eine Partei über ihre Direktkandidaten in den Wahlkreisen mehr Sitze holt, als ihr nach dem prozentualen Zweitstimmenergebnis zustünden. Im Gegenzug verlangt die Verfassung Ausgleichsmandate für die anderen Parteien. Deren Zahl wiederum begrenzt das Kieler Wahlgesetz mit einer unklaren Formulierung. Nach der jüngsten Wahl führte die Deckelung dazu, dass drei Überhangmandate der CDU nicht mehr ausgeglichen wurden - deshalb reichte es für Schwarz-Gelb. Die ursprüngliche Mehrheit von drei Stimmen schmolz dann auf eine zusammen, weil ein Wahlbezirk in Nordfriesland falsch ausgezählt wurde. Die FDP verlor damit ein Mandat an die Linke.Dass die Richter die Änderung des Wahlgesetzes verlangen werden, gilt als sicher. Sie könnten dies zusätzlich mit der Anordnung einer Neuwahl verbinden, spekuliert wird über eine Frist bis Ende 2012. Würde das Gericht die Sitzverteilung zugunsten der Opposition ändern, müsste Carstensen versuchen, eine neue Mehrheit zu bilden. SSW oder Grüne dafür zu gewinnen, dürfte jedoch ziemlich schwierig sein.Dass der 63-jährige Carstensen bei einer Neuwahl wieder als Spitzenkandidat antreten würde, erwartet in Kiel niemand. CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher gilt als "Kronprinz", zuletzt wurde aber auch Wirtschaftsminister Jost de Jager gehandelt. SPD-Landeschef Ralf Stegner wiederum erwartet den Richterspruch mit Zuversicht. Seine Partei sei für den Fall einer verkürzten Legislaturperiode "sehr schnell handlungsbereit", versichert er. Grünen-Landeschefin Marlene Löhr hält eine Frist bis zum Frühjahr für ausreichend, um sich auf ein neues Wahlgesetz zu verständigen und Neuwahlen abzuhalten. Eine Hängepartie sei jedenfalls das Letzte, was das Land brauche, sagt Löhr.

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