Die große Wut der vergessenen Generation

Ramallah · Analyse Palästinenserpräsident Abbas reist morgen nach Deutschland, um über den Nahostkonflikt zu sprechen. Daheim brodelt es gewaltig: Palästinas Jugend ist frustriert.

Abbas in Deutschland? Bei Kanzlerin Merkel? Wenn Saed Karzoun mit seinen Mitstudenten darüber spricht, schütteln die nur den Kopf. "Nichts von gehört", heißt es dann. Saed hält das für wenig überraschend: "Es besteht eine große Kluft zwischen der Bevölkerung und der politischen Führung." Vor allem die jungen Palästinenser fühlten sich nicht repräsentiert von einer Regierung, in der die meisten Politiker über 60 sind, während die Generation der 15- bis 29-jährigen 30 Prozent der Gesellschaft im Westjordanland ausmacht. Insgesamt sind sogar rund 70 Prozent jünger als 29.

In seiner Generation herrschten Enttäuschung, Wut und Hoffnungslosigkeit, sagt Saed. Und die Wut richtet sich längst nicht mehr nur gegen Israel, sondern auch gegen die eigene Regierung. Die Preise steigen, die Arbeitslosigkeit ist hoch: Weit über 20 Prozent der 20- bis 29-Jährigen im Westjordanland finden keinen Job. Saed Karzoun, 31, gut gekleidet und mit Golduhr am Handgelenk, studiert Internationale Beziehungen und Diplomatie an der Birzeit-Universität nahe Ramallah, er hat ein Stipendium und nebenher eine App entwickelt. Doch er weiß, dass andere in seinem Alter größere Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Die Regierung kümmere sich "einen Dreck" um sie. Doch Kritik zu äußern, trauen sich viele nicht. Denn man läuft Gefahr, verhaftet zu werden.

Was passiert, wenn junge Palästinenser ihrem Ärger doch Luft machen, hat der Protest vor zwei Wochen gezeigt, den die palästinensischen Sicherheitskräfte brutal niederschlugen. Er richtete sich vor allem gegen die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel. Auslöser war der Tod des Aktivisten Basel Al Araj, den israelische Soldaten wegen Waffenbesitzes in Ramallah festnehmen wollten. Laut Armeeangaben schoss er auf die Soldaten, die ihn daraufhin töteten. Viele der Demonstranten wollen das nicht glauben. Basel galt lange als Friedensaktivist, eine Art Jugendanführer, populär und ohne Verbindung zu Terrororganisationen. Doch dann kamen Waffen ins Spiel. Bereits Monate zuvor wurde Basel deshalb schon einmal festgenommen - von palästinensischen Kräften. Das brisante an seinem Tod ist, dass er von israelischen Soldaten in Ramallah erschossen wurde, einer Stadt, die vollständig unter palästinensischer Kontrolle ist. Nur aufgrund der Sicherheitskooperation war es möglich, dass die Palästinenser die Soldaten vor Ort haben gewähren lassen.

Unter den Jugendlichen entsteht der Eindruck, dass diese Kooperation den Siedlern diene, während die eigene Bevölkerung nicht beschützt werde. "Die Sicherheitskooperation ist der größte Dorn im Auge der jungen Generation", sagt Marc Frings, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Für die Kooperation werde Präsident Mahmud Abbas im Westen aber gelobt. Schließlich gilt sie als eine Voraussetzung für Stabilität.

Wenn Abbas morgen nach Deutschland reist, wird er nicht nur den umstrittenen Steiger-Preis für Toleranz entgegennehmen, sondern auch über die Zukunft der Zweistaatenlösung sprechen. Einen ähnlichen Schwerpunkt werden die Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel haben. Die innenpolitischen Herausforderungen würden auf internationaler Ebene meist ignoriert, kritisiert Frings. "Für die Bevölkerung stehen aber andere Themen als nur die Besatzung im Vordergrund." Die palästinensische Führungsclique ist älter als 60, Nachwuchs ist nicht in Sicht. Noch gibt es keine klaren Anführer der Proteste. Doch dass die Massen zu mobilisieren sind, hat der Fall Basel Al Araj bewiesen.

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