Die gläserne Zukunft für Patienten muss warten

Berlin · Seit Jahren wird an der elektronischen Gesundheitskarte herumgedoktert. Die Zukunft kommt bei dem milliardenschweren IT-Projekt nur im Schneckentempo.

Nun aber wird die "eGk" Pflicht. Von Mittwoch an müssen Versicherte beim Arzt die neue Karte vorlegen. Wer bisher noch die alte Versicherungskarte im Portemonnaie trägt, sollte sie schleunigst austauschen. Denn sie wird zum Jahresende ungültig.

Doch der medizinische Nutzen der Nachfolgekarte ist höchst umstritten. Versicherte ohne sie müssen zwar nicht befürchten, in der Praxis abgewiesen zu werden. Denn Ärzte können nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) noch bis zum 1. Oktober 2014 mit der alten Karte arbeiten und abrechnen. Doch wird es ohne eGk umständlicher. Denn Versicherte müssen dann innerhalb von zehn Tagen nach der Behandlung einen gültigen Versicherungsnachweis einreichen. Andernfalls kann der Arzt die Kosten der Behandlung privat in Rechnung stellen.

Bislang hat das Projekt rund 728 Millionen Euro an Beitragsgeldern gekostet. Jahrelang dümpelte es vor sich hin. Feldversuche mit der elektronischen Karte gab es schon 2004 und 2005. Dann sollte sie in der Pilotregion Nordrhein mit rund 9 Millionen gesetzlich Versicherten starten. Nun haben rund 95 Prozent der rund 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland die eGk. Der einzige klar erkennbare Unterschied zur alten Karte ist das Lichtbild, das den Missbrauch verhindern soll. Die herkömmlichen Karten waren immer wieder von nicht versicherten Patienten durch Täuschung mitgenutzt worden. Bislang sind auf der eGk nur die Stammdaten des Patienten, also Name, Geburtsdatum, Adresse und Versichertennummer gespeichert, und auf der Rückseite der Auslandskrankenschein. Sonst kann die Karte eigentlich nichts.

Nicht einmal die Online-Anwendung, um Patientendaten etwa bei Heirat oder Umzug rasch zu ändern, ist bisher aktiviert. Bisher musste bei jeder Adressen-Änderung eine neue Karte ausgegeben werden. Künftig sollen auch Daten etwa zur Blutgruppe oder zu Allergien auf der Karte gespeichert werden können. Auch Kennzeichen für den Organspendeausweis, aber auch den Zuzahlungsstatus kann die Karte speichern. Dies alles ist aber ebenso Zukunftsmusik wie das elektronische Rezept. Eines Tages soll die "intelligente" Karte sogar Patientenakten, Arztbriefe und Röntgenbilder speichern.

Vor allem dagegen laufen die Kritiker Sturm. Auch wenn rund 67 Millionen neue Gesundheitskarten bereits verteilt wurden, hält der Widerstand an. Gegner befürchten eine Vorratsdatenspeicherung im Gesundheitswesen, die den Interessen von Gesundheitskonzernen, Krankenkassen und IT-Wirtschaft diene. Ihr Szenario: Vertrauliche Krankheitsdaten, die künftig auf der Karte gespeichert sind, werden weitergereicht, Patienten würden nicht nur "gläsern", sondern auch erpressbar. Bestätigt in ihrer Sorge fühlen sich Datenschützer, Teile der Ärzteschaft und Bürgerrechtler durch die jüngsten Datenskandale.

Die Befürworter der eGk verweisen auf eine spezielle Verschlüsselungstechnologie, die die Karte sicherer mache. Die Speicherung von Notfalldaten könne lebensrettend sein. Und: Über alle Daten auf dem Chip entscheidet allein der Versicherte.

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