Die „eiserne Lady“ der leisen Töne

Taipeh · Zurückhaltend, öffentlichkeitsscheu - und trotzdem an der Macht: Mit Tsai Ing Wen übernimm in Taiwan erstmals eine Frau das höchste Staatsamt. Die 59-Jährige von der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) fuhr bei der Präsidentschaftswahl einen klaren Sieg ein.

Und machte noch am Wahlabend klar, was von ihr außenpolitisch zu erwarten ist: ein Peking-kritischer Kurs.

"Jede Form der Unterdrückung wird die Stabilität der Beziehungen zwischen Taiwan und China beeinträchtigen", sagte Tsai. Und versprach zugleich, sich für die "Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität" im Verhältnis zu Peking einzusetzen. Für diesen Stil ist sie bekannt: klar in der Sache, aber auch ausgleichend und auf Kompromisse zielend. Kürzlich bekundete die ehemalige Jura-Professorin ihre Bewunderung für die frühere britische Regierungschefin Margaret Thatcher . Sie bewundere die "Eiserne Lady" vor allem für ihre Vielseitigkeit und Stärke, sagte Tsai.

Aufgewachsen in einer wohlhabenden Familie im Süden Taiwans absolvierte sie ihre Ausbildung an Universitäten in Taipeh , New York und London. Nach der Rückkehr in die Heimat lehrte Tsai zunächst Jura, heuerte dann jedoch als Beraterin für China-Politik und internationale Handelsfragen bei ihren späteren Widersachern von der chinafreundlichen Kuomintang (KMT) an. Nach dem Wahlsieg der DPP im Jahr 2000 übernahm die Juristin ihr erstes Regierungsamt als Zuständige für Festland-Angelegenheiten, also für Taiwans China-Politik. Erst vier Jahre später wurde sie Parteimitglied, seit 2008 führt sie die DPP und gibt seither einen neuen Politikstil vor: Während sich ihre männlichen Kollegen gern aggressiv und gerissen gaben, setzt sie auf leise Töne.

Tsai gilt als kluge Analytikerin und geschickte Verhandlerin. Erfolge bei Regionalwahlen brachten ihr Respekt ein. Sie steht zudem für eine liberalere Gesellschaftspolitik - sie will Frauen im Beruf stärken und könnte der Homo-Ehe offen gegenüberstehen. Zugleich spielt die 59-Jährige mit patriotischen Tönen, um vom wachsenden Nationalstolz ihrer Landsleute zu profitieren. Viele Bewohner Taiwans lehnen eine weitere Annäherung an China ab, vor allem die Jüngeren wünschen sich mehr Selbstbewusstsein ihrer politischen Führung. Genau das verspricht nun die künftige Präsidentin. In ihrer Rede vor Parteifreunden lobte sie das politische System Taiwans: "Die Demokratie teilt uns nicht, sie schweißt uns enger zusammen." Gerade deshalb wolle sie verhindern, dass das Land zu sehr von Peking in Beschlag genommen wird. China sieht die Insel Taiwan seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1949 als abtrünnige Provinz und strebt eine Wiedervereinigung an.

Auf das Wahlergebnis vom Samstag reagierte die Führung der Volksrepublik alarmiert: Man werde "niemals irgendeine sezessionistische Aktivität" hinnehmen, sagte ein Außenamtssprecher. Peking ließ Tsai zudem aus dem sozialen Netzwerk Weibo löschen. Dort erscheint auf Suchanfragen nur noch die knappe Mitteilung, gemäß den geltenden Gesetzen könnten die Ergebnisse nicht angezeigt werden. Es ist der typische Satz für Zensur durch die chinesischen Behörden.

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