Die Bürger wollen Taten sehen

Meinung · Barack Obama hat schon manche Rede gehalten, die als "wichtigste Ansprache seiner Karriere" etikettiert wurde. Seine erste Rede an die Nation fällt nicht in diese Kategorie. Denn der Präsident weiß selbst: Mit schönen Worten allein kann er das Vertrauen der Amerikaner nicht zurückgewinnen

Barack Obama hat schon manche Rede gehalten, die als "wichtigste Ansprache seiner Karriere" etikettiert wurde. Seine erste Rede an die Nation fällt nicht in diese Kategorie. Denn der Präsident weiß selbst: Mit schönen Worten allein kann er das Vertrauen der Amerikaner nicht zurückgewinnen. Seine Landsleute haben längst erkannt, wie gut Obama über den notwendigen Wandel in den USA reden kann. Dass er genauso überzeugend zu regieren versteht, hat er bisher nicht bewiesen.Jobs. Jobs. Jobs. In dieser Reihenfolge gehören die wichtigsten drei Themen auf die Agenda für das laufende Jahr. Angesichts einer realen Arbeitslosigkeit von 17 Prozent kann es sich Obama nicht leisten, als Retter der Finanzmärkte wahrgenommen zu werden, während die Durchschnittsbürger leiden. Die Initiativen, die er in seiner Rede zur Lage der Nation ankündigte, sind ein erster Schritt. Doch sie reichen bei weitem nicht aus.Zumal niemand so recht begreift, wie der Präsident zugleich Sparen und Geld ausgeben will. Der groß angekündigte Ausgabenstopp für die nächsten drei Jahre wäre pures Gift für die Konjunktur. Sicher, es muss gespart werden. Aber nicht zu einem Zeitpunkt, an dem staatliche Nachfrage dringend gebraucht wird. Bleibt also zu hoffen, dass Obama nur eine Nebelkerze zünden wollte, um die Defizitwächter zu besänftigen. Denn massive Investitionen in die ökologische Wende und in die zerfallende Infrastruktur des Landes, etwa in ein modernes Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, sind unabdingbar. Zugleich darf der Präsident trotz der großen Krise seine ehrgeizigen Reformen nicht aufgeben. Bei der Neuordnung der Finanzmärkte, beim Klimaschutz und bei der Krankenversicherung müssen greifbare Ergebnisse her, und dafür wird Obama als Anführer seiner verängstigten Partei gebraucht. Schließlich haben die Demokraten im Kongress die erforderliche Mehrheit, um Veränderungen zu beschließen. Als Nagelprobe gilt die Gesundheitsreform, in die der Präsident bereits so viel politisches Kapital investierte. Ob er es schafft, die USA wie Roosevelt oder Reagan nachhaltig zu verändern, oder ob er als Klein-Klein-Präsident wie Clinton in die Geschichte eingeht - es dürfte sich in dieser Frage entscheiden. Die Amerikaner wollen Taten sehen und strafen die amtierenden Eliten für den Stillstand ab. Das ist die wahre Botschaft aus der verlorenen Nachwahl in Massachusetts, die Obama und seine geschockten Demokraten begreifen müssen. Jedes rhetorische Feuerwerk des Präsidenten wird deshalb schnell vergessen sein - sein politisches Comeback hängt allein davon ab, ob er konkrete Ergebnisse liefern kann.

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