Die Aufgabe aller Stabilitätsprinzipien

Freiburg. Die Beschlüsse der EU-Finanzminister in der Nacht zum 10. Mai markieren eine Zäsur in der Geschichte des Euros

Freiburg. Die Beschlüsse der EU-Finanzminister in der Nacht zum 10. Mai markieren eine Zäsur in der Geschichte des Euros. Die EU-Finanzminister haben ein Hilfssystem beschlossen, das für Mitgliedstaaten mit Finanzschwierigkeiten beachtliche Summen bereitstellt: Die EU kann bis zu 60 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufnehmen und an die betroffenen Staaten durchreichen, die Mitgliedstaaten gewähren bilateral Kredite bis zu 440 Milliarden Euro, der Internationale Währungsfonds stellt Kredite bis 250 Milliarden Euro bereit. Die Europäische Zentralbank (EZB) erklärt sich zudem bereit, Anleihen von kriselnden Mitgliedstaaten aufzukaufen. Der Weg des Euros hin zur Weichwährung ist vorgezeichnet. Aus einer Stabilitätsgemeinschaft wird eine Schuldengemeinschaft. Dies ist ökonomisch bedenklich und ein Rechtsbruch. Um sich rechtlich abzusichern, ziehen die Finanzminister Art. 122 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) heran, wonach die EU Mitgliedstaaten helfen darf, wenn diese sich beispielsweise einer Naturkatastrophe ausgesetzt sehen, die sie nicht beeinflussen können und deren Bewältigung sie überfordert. Es ist aber keine Naturkatastrophe, wenn die Kapitalmärkte hoch verschuldeten Staaten signalisieren, dass sie an ihrer Bonität zweifeln. Das haben die betreffenden Staaten selbst zu verantworten. Hier gelten die Artikel 123-125 AEUV, die eine Haftungsgemeinschaft in der EU ausschließen. Indem man diese Regelungen überging, schuf man faktisch eine Transferunion. Die Deutschen wären unter diesen Umständen keinesfalls bereit gewesen, die D-Mark aufzugeben. Mit dem Übergang von einer Gemeinschaft eigenverantwortlicher Staaten hin zu einer Haftungsgemeinschaft ist der Weg in die Verantwortungslosigkeit programmiert. So ist der Druck genommen, drastische Reformanstrengungen zu unternehmen. Für jede Regierung wird es einträglicher sein, im Vertrauen auf Ausgleichszahlungen von ihren Bürgern keine gravierenden Spar- oder Reformanstrengungen zu verlangen. Die Folge: Eine Wirtschaftsregion als Subventionsregion verliert ihre Dynamik. Am Ende geht es allen schlechter. Dass auch noch die EZB entmachtet wurde, ist der nächste Schritt zur Destabilisierung unserer Währung. Die EZB ist jetzt nicht mehr unabhängig. Es hätte nicht so kommen müssen. Deutschland hat es versäumt, ein Junktim (Koppelung) zwischen den Hilfszahlungen und der Reform des Stabilitätspaktes herzustellen. Nur dann hätte es eine realistische Chance gegeben, ein Höchstmaß der eigenen Stabilitätsvorstellungen durchzusetzen. Der Verzicht eines Junktims war ein fundamentaler Fehler. Was lässt sich tun, damit die Kapitalmärkte wieder an die Bonität der Mitgliedstaaten glauben? An der Sanierung der Haushalte führt kein Weg vorbei. Eine substantielle Verschärfung des Stabilitätspaktes ist ebenfalls unverzichtbar. Zwingend ist ein Automatismus. Wer auch immer die Defizitkriterien überschreitet, muss mit automatischen Sanktionen rechnen. Als Strafen sind neben Geldbußen auch die Kürzung von EU-Zahlungen und die Reduzierung oder gar Entzug der Stimmrechte einzuführen. Und: Die Möglichkeit, Länder aus der Eurozone auszuschließen, muss als Ultima Ratio eröffnet werden. Nur so gibt es noch eine letzte Chance, die Stabilität unseres Geldes zu retten. Dr. habil. Lüder Gerken leitet das Freiburger "Centrum für Europäische Politik".

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