Die Angst vor dem Volk

Meinung · In wenigen Monaten beginnt in Baden-Württemberg der Wahlkampf. Für Schwarz-Gelb ist die Ausgangslage denkbar schlecht. Lag die CDU 2006 nur einen Sitz unter der absoluten Mehrheit, müssen die Koalitionäre um Ministerpräsident Stefan Mappus nun froh sein, wenn sie - das geben die Umfragen durchaus her - nicht von Rot-Grün abgelöst werden

In wenigen Monaten beginnt in Baden-Württemberg der Wahlkampf. Für Schwarz-Gelb ist die Ausgangslage denkbar schlecht. Lag die CDU 2006 nur einen Sitz unter der absoluten Mehrheit, müssen die Koalitionäre um Ministerpräsident Stefan Mappus nun froh sein, wenn sie - das geben die Umfragen durchaus her - nicht von Rot-Grün abgelöst werden. Das liegt auch und gerade am umstrittenen Milliarden-Bahnprojekt "Stuttgart 21". Die Grünen sind dagegen, Schwarz-Rot-Gelb dafür. Die Grünen wurden bei den Kommunalwahlen stärkste Kraft, in Umfragen liegen sie jetzt bei 20 Prozent. In der Regierungszentrale wächst deshalb die Sorge, dass sich die Unzufriedenheit über die Region Stuttgart zu einer massiven Anti-Stimmung gegen die Landesregierung insgesamt auswachsen könnte. Wundern würde das nicht. Dass die Bürger Stuttgarts bei einem so einschneidenden Projekt nicht gefragt, sondern immer auf später vertröstet wurden, wollen sie der Politik nicht verzeihen. Weil tatsächlich immer wieder ein paar Chaoten anreisen, um in der neuen Streik-Metropole Randale zu machen, gehen die Befürworter des Projekts dazu über, die Grünen für jedwede Auffälligkeit bei den Demonstrationen in Haftung zu nehmen. Doch die Stigmatisierung der Kritiker als Horde "gewaltbereiter Krawallmacher", wie es die FDP versucht, verfängt nicht. Der Protest hat die bürgerliche Mitte, Anwälte, Dozenten, Schreiner Produkt-Entwickler, erreicht. Die Bäckerei-Fachverkäuferin sitzt nicht vermummt im "Schwarzen Block". Sie wundert sich nur über so viel Arroganz der Macht. CDU, FDP und SPD müssten, wenn sie die Strategie der Denunziation weiter verfolgen, am Ende ihre eigene Klientel beschimpfen."Stuttgart 21" ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Politik über die Köpfe der Menschen hinweg entscheidet. Und Projekte vorantreibt, die die Menschen nicht wollen und an denen nur noch wegen der vermeintlichen Gesichtswahrung festgehalten wird. Natürlich tendieren Menschen, wenn sie gefragt werden, eher dazu, Infrastruktur-Projekte in solcher Größenordnung in ihrer unmittelbaren Umgebung zu verhindern. Deshalb scheinen Politiker vor dem Volkswillen geradezu Angst zu haben. CDU-Regierungschef Mappus könnte zum Helden werden, wenn er die Notbremse zöge. Doch das wird er nicht. Weil er Standfestigkeit gegen Widerstände für eine eherne politische Tugend hält. Ende März kommenden Jahres, wenn er sich erstmals zur Wahl stellt, könnte er zu spüren bekommen, dass Stehvermögen kein Wert an sich ist. Und dass es auch darauf ankommt, wofür man einsteht.

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