Der „Vater“ Niedersachsens gerät ins Zwielicht

Hannover · Die erste Adresse Niedersachsens ist die des Landtags in Hannover: „Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1“. Doch es dürfte nicht mehr lange dauern, bis das Parlament eine neue Anschrift erhält.

Denn Hinrich Wilhelm Kopf, Ministerpräsident von 1946 mit Unterbrechungen bis 1961, gerät ins Zwielicht. Es sind neue Details bekannt geworden über sein Wirken während der NS-Zeit.

Der schnauzbärtige Sozialdemokrat mit jovialem Auftreten wird seit Jahrzehnten als "Gründervater" Niedersachsens verehrt, und zwar weit über seine Partei hinaus. Tatsächlich spielte Kopf, der damals gut mit konservativen Kräften kooperierte, eine prägende Rolle bei der Entstehung des Landes. Er wirkte im Hintergrund, führte Hannoveraner, Braunschweiger und Oldenburger zusammen. Eine große Leistung in einem Land, das als Kunstgebilde entstand und seine Identität erst finden musste. Kopf hatte eine starke Ausstrahlung und war außerordentlich populär.

Doch sein Bild bekommt Kratzer. Auslöser ist die vor wenigen Monaten vorgelegte Dissertation der Göttinger Politikwissenschaftlerin Teresa Nentwig. Sie kommt zu dem Schluss, dass Kopf in der NS-Zeit als Vermögensverwalter in Polen an der Enteignung und Vertreibung von Juden und Polen beteiligt war. Als Miteigentümer einer Berliner Firma, die jüdisches Eigentum verkaufte, verdiente er kräftig. Und es gibt Hinweise darauf, dass er einen jüdischen Geschäftspartner aus einem Unternehmen drängte. Nach dem Krieg stellte Polen ein Auslieferungsgesuch, doch Kopf beteuerte vor dem Landtag, nichts Unrechtes getan zu haben.

Nach Ansicht der Historischen Kommission für Niedersachsen ist Kopf jetzt "kein politisches Vorbild mehr". Er habe den Landtag über seine Rolle getäuscht. Was daraus folgt, ist noch unklar. Zwar rät die Kommission von einer Umbenennung von Straßen, Plätzen und Schulen ab. Man müsse sich dem Problem stellen, statt es durch Tilgung des Namens aus der Welt schaffen zu wollen, meinen die Professoren. Doch im Landtag schält sich parteiübergreifend eine Mehrheit für ein härteres Vorgehen heraus: SPD und CDU, Grüne und FDP wollen zumindest den Platz vor dem Parlament neu benennen.

Eine breite Debatte darüber gibt es bisher allerdings noch nicht. Vermutlich ist Kopf, der vor 52 Jahren starb, vielen kein Begriff mehr. Sein letzter persönlicher Referent allerdings, der spätere Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz, trat als Verteidiger Kopfs auf. In seiner Partei stößt er damit jedoch auf ein geteiltes Echo: Viele Sozialdemokraten, die derzeit im Landtag wirken, befürworten die Umbenennung vehement - wohl auch deshalb, weil Kopf zwar ein Aushängeschild der SPD war, seinen Führungsstil aber strikt überparteilich ausgelegt hatte.

Über die Umbenennung wird letztlich ein eher unscheinbares politisches Gremium bestimmen - der Stadtbezirksrat Hannover-Mitte. Die Erwartungshaltung, die auf ihm lastet, ist hoch: Der Landtagspräsident höchstselbst wurde beauftragt, den Rat wegen der Namensfrage zu kontaktieren. Dort klang die erste Reaktion reserviert: Einen "Welterklärer" habe man nicht nötig, beschied ein FDP-Lokalpolitiker.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort