Der Türkei sind in Syrien die Hände gebunden

Istanbul. Der anwachsende Strom syrischer Flüchtlinge über die Grenze in die Türkei macht die Regierung in Ankara immer nervöser. Mit mehreren Manövern an der Grenze hat das Militär seine Kampfbereitschaft demonstriert, und auch vor dem Weltsicherheitsrat in New York hat Außenminister Ahmet Davutoglu schweres Geschütz aufgefahren

Istanbul. Der anwachsende Strom syrischer Flüchtlinge über die Grenze in die Türkei macht die Regierung in Ankara immer nervöser. Mit mehreren Manövern an der Grenze hat das Militär seine Kampfbereitschaft demonstriert, und auch vor dem Weltsicherheitsrat in New York hat Außenminister Ahmet Davutoglu schweres Geschütz aufgefahren. Die Weltgemeinschaft mache sich mit ihrer Uneinigkeit in dem Konflikt der Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig, warnte er - vergeblich. Er reiste aus New York ab, ohne Unterstützung für Schutzzonen innerhalb Syrien zu bekommen, in denen im Bürgerkrieg Vertriebene Zuflucht finden sollen. Dafür wäre eine Flugverbotszone nötig.Gleich mehrfach hat sich die Türkei in den vergangenen Monaten verkalkuliert. Schon vor Monaten haben Regierungsvertreter erkennen lassen, dass sie mit einem baldigen Sturz des Regimes in Damaskus rechnen, weil Präsident Baschar al-Assad das Geld und die Unterstützung ausgingen. Ein Massenansturm von Flüchtlingen oder Unterstützung des syrischen Regimes für die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK wurde als rote Linie bezeichnet, deren Überquerung einen türkischen Militäreinsatz zur Folge haben könne.

Doch die Türkei erkennt, dass ihr im Ringen der Großmächte weitgehend die Hände gebunden sind. Nun werden neue Flüchtlingslager gebaut, um notfalls noch deutlich mehr als die etwa 80 000 Syrer aufnehmen zu können, die sich bisher in die Türkei geflüchtet haben. Das mindert die humanitäre Krise im benachbarten Bürgerkriegsland, nimmt allerdings auch den politischen Druck, eine Lösung zu finden.

Die Türkei aber bekommt die Folgen des Bürgerkrieges immer direkter selbst zu spüren. Die PKK hat eine Serie von Angriffen geführt, bei denen sie nach Einschätzung von türkischen Politikern aus Syrien und dem mit Damaskus verbündeten Iran unterstützt wird. Zudem ist der Syrien-Krieg für die wirtschaftlich aufstrebende Türkei ein schwerer Schlag, weil ein wichtiger Handelsweg blockiert ist. Tausende Lastwagen, die bisher Waren über Syrien bis zu den arabischen Golfstaaten lieferten, stehen derzeit still. Dazu kommen Nadelstiche der türkischen Opposition, die die Syrien-Politik von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kritisiert. Vor dem Beginn des Aufstandes hatte Erdogan auf eine Vertiefung der Beziehungen auch zu arabischen Diktatoren gesetzt, während die EU-Beitrittsverhandlungen auf der Stelle traten. Er feierte damit politische Erfolge.

Seine engen, mitunter als freundschaftlich bezeichneten Beziehungen zu Assad schmiert ihm die Republikanische Volkspartei CHP bei jeder Gelegenheit aufs Brot. Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu merkte soeben an, er habe nie mit Assad Hände geschüttelt oder mit ihm Urlaub gemacht.

Allerdings setzte sich Erdogan dann an die Spitze der Kritiker Assads. Auch bei den Schutzzonen will die Türkei eine führende Rolle spielen. Internationale Unterstützung bekommt sie dabei aber nicht. Positive Signale kamen nur aus Frankreich und Großbritannien. Zu den Kritikern gehört UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. Schutzzonen könnten dazu führen, dass den Vertriebenen die Flucht in sichere Nachbarstaaten verwehrt werde, obwohl sie in Syrien weiter in Gefahr seien.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort