Brasilien Mit harten Sprüchen und harter Hand an die Macht

Rio de Janeiro · (dpa/epd) Glenio Ritter arbeitet schon seit Wochen nicht mehr – er hat eine Mission. Der 52 Jahre alte Arzt steht mit seinem gelben Wahlplakat auf dem Grünstreifen vor dem Haus von Jair Bolsonaro und macht Werbung für den ultrarechten Präsidentschaftskandidaten.

 Jair Bolsonaro (63) geht als großer Favorit in die Stichwahl.

Jair Bolsonaro (63) geht als großer Favorit in die Stichwahl.

Foto: dpa/Agência Brasil

„Er ist ein ehrlicher Mensch. Ein Patriot“, sagt Ritter. „Er hat konservative Überzeugungen, die ich teile. Zum Beispiel ist er gegen Abtreibung und für die Bewaffnung der Bevölkerung.“ Im schicken Stadtteil Barra da Tijuca im Westen Rio de Janeiros teilen die meisten Ritters Meinung. Viele Autofahrer hupen oder winken ihm zu. Hin und wieder bekommt er allerdings auch einen Mittelfinger zu sehen. Kurz vor der Stichwahl am Sonntag ist das größte Land Lateinamerika gespalten wie nie. Alles deutet auf einen Sieg Bolsonaros hin, aber auch kaum ein Politiker ist so verhasst wie der schneidige Ex-Militär.

Der 63-Jährige spricht abfällig über Frauen, Schwarze und Schwule. Einer linken Abgeordneten bescheinigte er einmal, sie sei es nicht wert vergewaltigt zu werden, weil sie zu hässlich sei. Bewunderung hegt er hingegen für die Militärdiktatur Brasiliens zwischen 1964 und 1985. Sein einziger Kritikpunkt: „Das Problem der Diktatur war, dass sie nur gefoltert, aber nicht getötet hat.“

Trotz des rauen Tons steigt die Zahl der Bolsonaro-Anhänger täglich. Es gelingt ihm, als Erneuerer wahrgenommen zu werden, obwohl er seit über 20 Jahren Abgeordneter von Parteien ist, die tief in Korruptionsskandale verstrickt sind. „Bolsonaro repräsentiert eine vergessene, alleingelassene Mittelschicht, die ihre Werte bewahren und endlich wieder Ordnung haben will“, erklärt Paulo Guedes. Der liberale Ökonom gilt als künftiger Finanzminister Brasiliens. Mit der Privatisierung von Staatsbetrieben und Kürzungen bei Sozialausgaben will er die Wirtschaft zum Laufen bringen.

Die grassierende Kriminalität, eines der dringendsten Probleme Brasiliens, will der „Tropen-Trump“ mit einer Bewaffnung der Bevölkerung und genereller Straffreiheit von Polizisten bei tödlichen Einsätzen bekämpfen. „Wir haben die Ablehnung der traditionellen Politik lange unterschätzt“, räumt der Politologe Santoro Rocha ein. „Bolsonaro ist das Symbol für einen tiefgreifenden Wandel.“ Der Hauptmann der Reserve hat eine Allianz zwischen Nationalisten, Evangelikalen und der Wirtschaftselite geschmiedet. Welche der rechten Strömungen in seiner Regierung künftig den Ton angeben wird, ist allerdings noch unklar.

Sein Gegenkandidat Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei (PT) hat der Wechselstimmung wenig entgegenzusetzen. Zwar distanzierte sich der frühere Bürgermeister der Millionenmetropole São Paulo zuletzt von seinem politischen Ziehvater Luiz Inácio Lula da Silva. Doch der Schatten des wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilten Ex-Präsidenten ist lang. Viele Wähler sehen in Haddad lediglich eine Marionette Lulas.

Wahlforscher halten es auch deshalb für höchst unwahrscheinlich, dass Bolsonaro seinen Vorsprung von vielen Millionen Stimmen in den letzten Stunden vor dem Urnengang noch einbüßen wird. Auch Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Wahlgericht, die seit dem Wochenende dem Vorwurf der massenhaften Verbreitung von Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken durch Bolsonaro-Unterstützer nachgehen, wird kaum etwas an den Überzeugungen der Wähler ändern. Über 63 000 Menschen wurden im vergangenen Jahr in Brasilien getötet – da verfangen Bolsonaros Reden von einer Politik der harten Hand.

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