Der Tod, der die Welt veränderte

Meinung · Ein Jahr nach der Tötung von Osama bin Laden hat sich die Welt verändert. Kehrte der Terrorfürst für nur einen Tag zurück, würde er sie nicht wieder erkennen. Mehr als die Hälfte seiner Führungsoffiziere weilen nicht mehr unter den Lebenden

Ein Jahr nach der Tötung von Osama bin Laden hat sich die Welt verändert. Kehrte der Terrorfürst für nur einen Tag zurück, würde er sie nicht wieder erkennen. Mehr als die Hälfte seiner Führungsoffiziere weilen nicht mehr unter den Lebenden. Bin Laden fände mit Eiman al-Sawahiri einen uncharismatischen Kopf an der Spitze von Al Qaida, der ständig auf der Flucht vor dem unsichtbaren Tod aus der Luft ist - wie so viele andere mittlere Führer, die US-Präsident Barack Obama ins Visier seines Drohnenkriegs nahm.Bin Laden sähe radikale Islamisten, die ihre Waffen im Arabischen Frühling gegen Stimmzettel eintauschten. Eine Niederlage auf ganzer Ebene für den Terrorchef, der mit seiner hasserfüllten Propaganda einen Krieg der Zivilisationen herbeiführen wollte. Vergeblich. Dank der mutigen Entscheidung Obamas ruht Bin Laden seit einem Jahr am Meeresgrund.

Die Auseinandersetzung mit den Resten von Al Qaida muss weitergehen, ebenso mit ihren Ablegern in Jemen, Somalia und Nigeria. Und erst recht der Ideologie, die ihren obersten Propagandisten überlebt hat. Die größte Gefahr geht jedoch von Tätern wie Mohamed Merah in Frankreich oder dem Unterhosenbomber von Detroit aus. Von Einzelkämpfern, denen weniger mit einem "Krieg" als mit Wachsamkeit im Alltag beizukommen ist.

Obama spricht schon lange nicht mehr von einem "Krieg gegen den Terrorismus", weil Terror kein Feind, sondern eine Taktik ist. Mit der Aktion gegen Bin Laden hat er der giftigen Al-Qaida-Schlange zweifelsohne den Kopf abgeschlagen. Und hat nun Gelegenheit, die Akzente zu verschieben. Hin zu einem Austausch mit Vertretern des politischen Islam, die der Gewalt abschwören und ihrerseits viel dazu beitragen können, die Terrorismus-Gefahr zu minimieren.

Helfen würde auch ein erwachsener Umgang mit dem Gefangenenlager Guantanamo, das ein Schandfleck und Rekrutierungswerkzeug für Extremisten bleibt. Im Wahljahr darauf zu hoffen, dass der Kongress seine feige Blockade aufgibt, Gefangene in Gefängnisse auf dem Festland zu verlegen, bleibt jedoch illusionär.

Statt eines ernsthaften Dialogs über die nächste Phase in der Auseinandersetzung mit Al Qaida, terroristischen Ablegern und Einzelkämpfern machen beide Seiten derzeit plumpen Wahlkampf mit dem Thema. Team Obama hätte auf den Werbespot verzichten sollen, in dem die Frage gestellt wird, was Herausforderer Mitt Romney getan hätte. Der Republikaner seinerseits wäre besser beraten gewesen, Obamas Entscheidung nicht mit Jimmy Carter in Verbindung zu bringen, der 1980 einen vergleichbaren Befehl gegeben hatte, der jedoch im Desaster endete. Dass Bin Laden auf diese Weise eine Widerauferstehung feiert, ist eine Ehre, die der tote Terrorfürst nicht verdient.

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