Der starke Mann des Stahls verlässt die Hütten

Dillingen/Völklingen · . Die saarländische Stahlindustrie steht vor einer Zeitenwende. Mitten in einer weltweiten Branchenkrise mit großen Überkapazitäten, die gewaltig auf die Preise drücken und gerade mittelständischen Unternehmen wie der Dillinger Hütte und Saarstahl gefährlich werden können, geht "der Lotse von Bord".

Karlheinz Blessing , Vorstandschef beider Hütten im Saarland und Manager mit einem besonders stark ausgeprägten Drang zur Macht, verlässt das Saarland in Richtung Wolfsburg. Die Möglichkeit, als Personalvorstand des krisengeschüttelten VW-Konzerns jetzt ein noch größeres Rad drehen zu können, ist für einen wie ihn nur allzu verlockend. Einen Mann, der gern Herausforderungen annimmt, auch privat, ist er doch jahrelang mit "Benzin im Blut" Autorennen gefahren.

Blessing kann schon vor seinem Amtsantritt einen Vorteil für sich verbuchen: Er wird sowohl von der Arbeitnehmer- als auch von der Arbeitgeberseite bei Volkswagen mitgetragen. Das ist längst keine Selbstverständlichkeit, doch die große Nähe des 58-Jährigen auch zur IG Metall und speziell zu Berthold Huber , der bis vor Kurzem noch Aufsichtsratschef von VW war, sichert ihm Akzeptanz und Spielraum im neuen Amt. Wie Blessing es überhaupt schaffen will, die von Volkswagen im Gefolge des Abgasskandals bereits gegebene Beschäftigungsgarantie mittel- und langfristig aufrecht zu erhalten, steht noch in den Sternen. Er wird liefern müssen. Ob er die Zusagen halten kann, bleibt zunächst offen. Am wohl riskantesten, aber derzeit vielleicht auch reizvollsten Job im deutschen Management sind vor ihm schon andere gescheitert.

Zumal die Strukturen in Wolfsburg mit denen an der Saar nicht viel gemein haben. Im Saarland wurde Blessing von Anfang an hofiert, als er nach der politischen Karriere als SPD-Bundesgeschäftsführer in die Wirtschaft wechselte. Er genoss das Wohlwollen aller Landesregierungen und auch das Vertrauen der IG Metall , die seine Entscheidungen stets mit durchgewunken haben. Blessing "biss" sich vom Posten des Arbeitsdirektors konsequent an die Führungsspitze der Dillinger Hütte : mit den Themen Arbeitssicherheit, Arbeitszeiten und dem unbedingten Willen, der Dillinger Hütte schnell zu einem weltweiten Wachstum zu verhelfen. Das stieß selbst bei denjenigen auf Wohlwollen, die noch mehr zu sagen haben. So installierte ihn der Geschäftsführer der SHS Stahlholdung Saar, Michael Müller , auch als Vorstandschef in Dillingen. Blessings Vorgänger Paul Belche musste gehen, weil er eher für ein vorsichtiges Wachstum plädiert hatte.

Blessing hat alle Macht auf sich vereint, zuletzt als Vorstandschef beider Hütten und der Saar-Schmiede. Technologisch sind alle Standorte auch dank seiner Arbeit fit für die Zukunft. Doch strategisch hinterlässt Blessing eine gefährliche Lücke. Die Machtfülle, die er anhäufte, könnte jetzt zum Nachteil werden: So schnell ist kein Kandidat in Sicht, der über eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur verfügt. Aufgebaut und gesucht wurde auch keiner.

Dem Nachfolger muss es vorrangig gelingen, die Hütten und ihre Belegschaften zusammenzuhalten. Die saarländische Stahlindustrie ist künftig einem noch härteren Konkurrenzkampf ausgesetzt. Deshalb behaupten Blessings Kritiker, von denen es nicht wenige gibt, er sei auch Visionär. Und gehe deshalb rechtzeitig.

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