Der schöne Traum vom Subventionsabbau
Berlin. Mit einer gewaltigen Zahl machten gestern die arbeitgebernahe "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" und das Kieler "Institut für Weltwirtschaft" Furore: 163,6 Milliarden Euro betrugen im Jahr 2010 alle Subventionen von Bund und Ländern, ob steuerliche Förderungen oder direkte Finanzhilfen. Ein Rekord
Berlin. Mit einer gewaltigen Zahl machten gestern die arbeitgebernahe "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" und das Kieler "Institut für Weltwirtschaft" Furore: 163,6 Milliarden Euro betrugen im Jahr 2010 alle Subventionen von Bund und Ländern, ob steuerliche Förderungen oder direkte Finanzhilfen. Ein Rekord. 6,5 Prozent unseres Bruttosozialprodukts werden praktisch verschleudert, denn, so die Autoren: "Subventionen sind Gift". Bei näherem Hinsehen ist freilich diese Untersuchung ein weiteres Beispiel dafür, wie giftig die Debatte geführt wird - weswegen sie nicht weiterkommt.So rechnen die Kieler Wissenschaftler alle Arten von Steuervergünstigungen mit, sogar die Kfz-Steuerbefreiung für Schwerbehinderte oder die noch sehr neue Förderung von Elektromobilen. Natürlich gehören auch sämtliche ermäßigten Mehrwertsteuersätze zu den "Subventionen", ebenso die Steuerfreiheit von Sonntags- und Nachtzuschlägen und die Entfernungspauschale. Allein 52 Milliarden Euro macht das zusammen aus. Aber ist das Subvention? Oder nicht vielmehr das, was Politik und Demokratie ausmacht, die Gestaltung der Gesellschaft? Bezeichnend, dass etwa "Spiegel-Online" in der Berichterstattung über die Studie einige besonders krasse Fehlförderungen herauspickte, wie etwa die "Biersteuerbefreiung des Haustrunks", nicht aber die große Masse der Tatbestände, die politisch von der Mehrheit der Bevölkerung klar gewollt sind. Die Koalition merkt das gerade bei der Reform der Umsatzsteuer, wo sie die ermäßigten Sätze für Nahrungsmittel oder Bücher klugerweise von vornherein für sakrosankt erklärt. So ist es fast überall.
Aus der Nähe betrachtet schnurren die Subventionsabbaumöglichkeiten schnell in sich zusammen. Es sei denn, und dieser Verdacht liegt nahe, die Autoren wollen dem Staat generell Gestaltungsmöglichkeiten kappen. Im Gegenzug solle es Steuersenkungen geben, bieten die Autoren an. Nur: Nennenswert Steuern zahlen lediglich Besserverdienende. Die Abschaffung der Pendlerpauschale zum Beispiel betrifft viele mit geringem Einkommen. Hinter der Studie steckt also ein gehöriges Stück Ideologie: Je weniger Staat, desto besser. Man könnte dem entgegenhalten, wie sich das Kieler Institut finanziert: Aus Steuermitteln von Bund und Ländern.
So schadet das Papier in seiner Radikalität dem an sich richtigen Anliegen, die staatlichen Hilfen immer wieder zu überprüfen und auf das notwendige Maß zu begrenzen. Der Vorschlag der Kieler, wenigstens die Subventionen für die Wirtschaft, 58 Milliarden Euro, schrittweise auf Null zu bringen, und zwar mit der Rasenmähermethode, ist ebenfalls überzogen. Schon Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) hatten 2003 ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Motto: Trifft es alle gleichmäßig, dann kann keiner klagen. Aber sie wollten nur zehn Milliarden Euro einsparen, wohl wissend, dass manche Branchen, etwa die Landwirtschaft oder die Kultur, ohne Subventionen nicht lange überleben. Selbst die zehn Milliarden wurden nicht erreicht, weil zum Beispiel die Kürzung der Pendlerpauschale beim Verfassungsgericht scheiterte. Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland sind eben kein grüner Tisch, auf dem selbst ernannte Experten schalten und walten können, wie sie wollen. Sondern ein ziemlich komplexes, aber auch wackeliges Gebilde. Aus dem nimmt man nicht ungestraft große Steine raus.