Der Musterschüler haut auf den Tisch

Rom · Als Ministerpräsident Matteo Renzi vor genau zwei Jahren ins Amt kam, da glich Italiens Politik einem Scherbenhaufen. Mario Monti und Enrico Letta versuchten auf dem zweifelhaften Erbe des viermaligen Premiers Silvio Berlusconi aufzubauen, ohne nachhaltigen Erfolg.

Renzi hatte 2013 die Urwahlen als Chef der Demokratischen Partei (PD) gewonnen und stieß dann in brutaler Manier seinen Vorgänger Letta aus dem Amt. Nun, zwei Jahre später, muss man dem 41-Jährigen zu Gute halten: Zur Halbzeit sitzt seine Regierung weiterhin fest im Sattel, Italien hat zweifellos an Stabilität und Glaubwürdigkeit gewonnen.

Von den Reformen im Monatsrhythmus, die Renzi vollmundig versprach, sind zumindest ein paar Pfeiler geblieben. Mit einer Arbeitsmarktreform, deren umstrittener Kern die Lockerung des Kündigungsschutzes war, machte sich der Ministerpräsident beim linken Parteiflügel seiner Sozialdemokraten keine Freunde. Das italienische Statistikamt meldete für 2015 jedoch einen Anstieg der Langzeit-Jobs um 764 000 im Vergleich zum Vorjahr. Umstritten ist auch die von Renzi auf den Weg gebrachte Verfassungsreform, die im Oktober mit einem Bürgerreferendum endgültig besiegelt werden soll. Dann wäre dem Ministerpräsidenten das Kunststück gelungen, dass der Senat, die zweite Parlamentskammer, seiner Selbstentmachtung zugestimmt hätte. Der bis heute extrem langwierige Gesetzgebungsprozess in Italien wäre dann deutlich vereinfacht, die bislang notorisch schwachen Regierungen gestärkt.

Kritiker befürchten gar eine autoritäre Wende. Tatsächlich ist der Blick ins politische Spektrum jenseits des PD nicht gerade beruhigend, mit Beppe Grillo (5 Sterne) und Matteo Salvini (Lega Nord ) bieten sich ein populistischer Ex-Komiker und ein Rechtsaußen-Mann als Alternativen an. In den Umfragen liegen die Sozialdemokraten mit rund 33 Prozent vor der 5-Sterne-Bewegung (25 Prozent). Renzi dominiert bis auf Weiteres die Mitte.

Allerdings ist Letzterer vor große Probleme gestellt. Ein Anzeichen dafür sind seine wiederholten Tiefschläge gegen die EU. Sie verhalte sich wie das Orchester auf der sinkenden Titanic, behauptet Renzi. Italien habe seine Hausaufgaben gemacht, jetzt haut der selbst ernannte Musterschüler auf den Tisch. Er fordert mehr Flexibilität bei den Staatsausgaben, bekämpft die von Berlin angepeilte Obergrenze für Staatstitel im Portfolio der Banken, segelt auf der Protestwelle gegen die europäische Sparpolitik und fordert das Ende des Würgegriffs.

Was der italienische Ministerpräsident dabei unterschlägt, ist das berechtigte Interesse daran, bedrohliche Krisensituationen mit nachhaltigen Maßnahmen in Zukunft zu verhindern. Renzi verließ sich auf die günstigen Prognosen nach siebenjähriger Rezession, doch zuletzt wuchs Italiens Wirtschaft nur im Dezimalbereich. Ohne echtes Wachstum entkommt Italien dem Teufelskreis v on mangelnder Nachfrage und weiterer Neuverschuldung aber nicht. Bleibt das Wachstum weiter aus, sind die von ihm versprochenen Steuererleichterungen nicht zu finanzieren, der positive Effekt der Reformen bliebe Theorie. Dass Renzi sich beruhigt, ist deshalb nicht zu erwarten, im Gegenteil. Der Premier hat sich verkalkuliert, auch deshalb häufen sich seine Attacken auf die EU. In Brüssel versucht er das zu bekommen, was ihm das eigene Bruttosozialprodukt versagt.

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