Der Musterschüler hat keine Zukunft mehr

Lissabon · Der Satz dürfte in Brüssel die Alarmglocken schrillen lassen: "Wir werden das Kapitel der Sparpolitik schließen", sagt António Costa, Chef der portugiesischen Sozialisten , die demnächst Portugals Regierung übernehmen wollen.

Nach dem Sturz der konservativen Minderheitsregierung von Pedro Passos Coelho deutet sich ein heftiger Linksruck an in dem Euro-Krisenland, das 2011 vor der Staatspleite gerettet werden musste. Und das Ende jenes eisernen Sparkurses, der Portugal den Ruf des EU-Musterschülers einbrachte.

Glückwünsche für den von Costa angeführten Mitte-Links-Pakt kamen umgehend von der griechischen Syriza-Regierung. Die zeigte sich "sehr zufrieden mit der Entwicklung". Vor allem deshalb, weil ihre portugiesische Schwesterpartei "Bloco de Esquerda" (Linksblock) nun das Zünglein an der Waage sein könnte. Der Bloco, neuerdings drittstärkste Kraft hinter Konservativen und Sozialisten , lehnt die mit der Gläubiger-Troika getroffenen Spar-Vereinbarungen ab. Noch Europa-kritischer ist die grün-kommunistische Allianz, die ebenfalls zum neuen Bündnis gehört. Sie befürwortet sogar den Austritt aus Eurozone und Nato . Beide Linksparteien wollen nicht in eine sozialistisch geführte Regierung eintreten, sondern nur punktuelle Unterstützung im Parlament gewähren. Sie fordern, die Rückzahlung des riesigen Schuldenbergs mit den Gläubigern neu zu verhandeln.

Ministerpräsident Passos Coelho, seit 2011 im Amt, hatte den Portugiesen harte Kürzungen und Steuererhöhungen aufgebürdet. Bei der Wahl am 4. Oktober verlor er nun seine absolute Mehrheit. Der Versuch, mit einem Minderheitskabinett zu regieren, scheiterte nach elf Tagen: Die Mitte-Links-Mehrheit im Parlament brachte ihn am Dienstag mit der Ablehnung des Regierungsprogramms zu Fall.

Die konservative Regierung habe sich der EU "unterworfen", kritisierte Sozialistenchef Costa. Ihr Sparprogramm habe "zur Verarmung der Bevölkerung geführt". Nun will Costa das Steuer herumreißen. Er gelobte zwar, die Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern einzuhalten. Doch zugleich versprach er den 10,4 Millionen Portugiesen, er werde den Sparkurs lockern. So will er Lohnkürzungen für Beamte zurücknehmen und die von den Konservativen eingeführte 40-Stunden-Arbeitswoche um fünf Stunden verkürzen. Die seit 2010 eingefrorenen Pensionen sollen wieder steigen. Die Krisensteuer "sobretaxa", ein Aufschlag von 3,5 Prozent auf die Einkommensteuer, will Costa abschaffen und den Mindestlohn von 505 auf 600 Euro anheben. Der Gastronomie wird versprochen, die Mehrwertsteuer von 24 auf 13 Prozent zu senken. Die Privatisierung staatlicher Unternehmen, etwa der Fluglinie TAP, soll rückgängig gemacht werden.

All das weckt nicht nur in Brüssel ungute Erinnerungen an die Verhältnisse im Schuldenstaat Griechenland. Dabei lief es, jedenfalls aus europäischer Sicht, in Portugal bisher nicht schlecht: Passos Coelho hatte das Land mit radikalen Reformen wieder auf eigene Beine gestellt, 2014 konnte Portugal den Rettungsschirm verlassen. Die Wirtschaft wächst wieder, auch wenn sie noch verwundbar ist. Die verhängten Einschnitte jedoch überschritten bei vielen Portugiesen die Schmerzgrenze. Die Geldgeber-Troika, die in Lissabon mitregierte, sollte daraus lernen: Der Sparkurs muss Grenzen haben. Weil das missachtet wurde, ist der europäische Traum vom portugiesischen Musterknaben nun zu Ende.

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