Der leise Kämpfer für mehr Demokratie

Peking · Noch vor einigen Tagen hatte er sich unter die Decke auf seiner Matratze verkrochen, mitten im Chaos der Studentenvereinigung im Hongkonger Stadtteil Mong Kok. Schlafen, nur schlafen, der Körper hatte nach wochenlangem Protest für mehr Demokratie in Hongkong aufgegeben.

Lester Shum Ao-hui hatte seine Stimme verloren.

Dann aber griff er wieder zum Mikrofon, verlangte freie Wahlen, forderte zum Verzicht auf Widerstand auf - und sitzt nun nach schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizisten in Mong Kok in Polizeigewahrsam. Heute soll der 21-Jährige, ebenso wie sein 18-jähriger Mitstreiter Joshua Wong Chi-fung von der Mittelschülervereinigung "Scholarism", dem Richter vorgeführt werden. Beide zählen zu den bekanntesten Gesichtern der seit Wochen andauernden Demonstrationen in der ehemaligen britischen Kronkolonie. Was Shum und Wong vorgeworfen wird, gaben die Behörden zunächst nicht bekannt.

Mong Kok ist ein Arbeiterviertel, wo auch viele Festland-Chinesen ihre Geschäfte betreiben. Sie hatten ob der zahlreichen Straßensperren in der Stadt immer genervter reagiert. Taxi- und Busfahrer setzten schließlich eine einstweilige Verfügung gegen die Protestlager in Mong Kok durch. Die Barrikaden-Räumaktion lief zunächst friedlich an, nachdem es in den vergangenen Wochen bereits mehrfach zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war. In der Nacht zu Mittwoch geriet die Situation dann aber wieder außer Kontrolle. Augenzeugen berichteten von wüsten Rangeleien, vom Pfefferspray-Einsatz der Polizei . Am Ende führten die Beamten rund 100 Menschen ab. 20 Polizisten seien verletzt worden, teilten die Behörden mit und warfen den Demonstranten vor, sie hätten sich dem Gerichtsentscheid zur Räumung widersetzt.

"Wir wollen den zivilen Ungehorsam zu Ende führen, indem wir uns festnehmen lassen", hatte Lester Shum, der Politikstudent, kürzlich gesagt. Da hatten die Professoren Benny Tai Yiu-ting und Chan Kin-man sowie der Priester Chu Yiu-ming von der Widerstandsbewegung "Occupy Central" gerade angekündigt, sich am 5. Dezember der Polizei zu stellen. Die Studentenvereinigung lehnt solche Pläne ab. Auch das zeigt den Riss im Lager der Regierungsgegner. Nach und nach bröckelt die Entschlossenheit, auch wenn mancher noch an die Kraft des Straßenkampfs glaubt.

Lester Shum ist der Vize-Vorsitzende der Hongkonger Studentenvereinigung. Er war stets der Ruhige, der Zurückhaltende hinter dem Vereinigungspräsidenten Alex Chow Yong-kang, dem Hitzkopf unter den Anführern. Shum wollte einst Ingenieur werden, wechselte dann aber an die Verwaltungsfakultät. Seine Reden vor der Menge hielt er voller Nervosität, verhaspelte sich oft. Sein Argumentationstalent zeigte Shum dann aber während der Gespräche der Studenten mit fünf Regierungsvertretern Ende Oktober. Höflich, aber bestimmt formulierte der 21-Jährige dort die Forderungen der Unzufriedenen: "Hört dem Volk zu, es will sich nicht fremdbestimmen lassen." Hongkongs Stadtregierung aber setzt auf Zeit - und lässt die protestierenden Studenten auflaufen.

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