Der Krieg in Europa

Mit dem Abschuss eines Passagierflugzeuges und beinahe 300 vollkommen unbeteiligten Todesopfern hat die Krise in der Ukraine eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Was Ende vergangenen Jahres als Demonstration in Kiew begann, kann inzwischen nicht mehr nur Krise genannt, sondern muss mit dem Wort Krieg bezeichnet werden.



Es ist ein Krieg mitten in Europa, in dem jeden Tag Unschuldige sterben. Ein Krieg, den keiner der Beteiligten offen erklärt hat. Ein Krieg, der dennoch mit allen modernen Waffen geführt wird, darunter Luftabwehrraketen. Aber auch die Waffe der Desinformation ist im Einsatz, und so ist bei aller Bestürzung auch Zurückhaltung bei Schuldzuweisungen angesagt.

Fest steht jedoch: Russland ist in diesen Krieg verstrickt. Nur das Ausmaß dieser Verstrickung ist unklar. "Heute führen wir Krieg gegen die Ukraine ", erklärt zum Beispiel ohne jede diplomatische Zurückhaltung ein russischer Veteran des Tschetschenienkrieges. Für humanitäre Hilfe wird in den Straßen Moskaus offen unter der Flagge der sogenannten Donezker Volksrepublik geworben, die militärische Unterstützung verläuft etwas diskreter. Sie wirklich zu leugnen, bemühen sich aber die Wenigsten.

Europa war von Anfang an Partei in der Ukraine-Krise. Und Europa sollte sich weiterhin solidarisch zeigen mit jenen Menschen in der Ukraine , die ihr Land erneuern und demokratisieren wollen und dafür von Russland abgestraft werden. Doch Europa darf nicht Kriegspartei werden. Ein jetzt geforderter Blauhelmeinsatz wäre zwar sinnvoll, ist aber momentan nicht realistisch. Selbstverständlich müsste dagegen die völlige Einstellung jeglicher militärischen Zusammenarbeit mit Russland sein. Das wird Frankreich wehtun. Doch wenn Europa glaubwürdig bleiben will, muss Kanzlerin Angela Merkel ihren ganzen Einfluss im Nachbarland geltend machen, damit der milliardenschwere Verkauf von zwei "Mistral"-Hubschrauberträgern abgesagt wird.

Diese Forderung gilt ganz unabhängig von der Schuldfrage beim Absturz der Boeing bei Donezk. Sollte sich herausstellen, dass Russland hier eine Mitverantwortung trägt, worauf vieles hindeutet, wird der Spagat zwischen Solidarität mit der Ukraine und Dialogbereitschaft mit Russland noch schwieriger. Dennoch: Auch den jetzt in der Ukraine immer stärker werdenden Rufen nach Waffenlieferungen muss Europa eine klare Absage erteilen. Die europäische Integration der Ukraine erfolgt auf der Basis gemeinsamer Werte, von denen einer lautet: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Auch nicht in einem verharmlosend als "Anti-Terror-Einsatz" bezeichneten Krieg.

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