Der Kraftakt von Athen

Meinung · Muss man Respekt haben vor einer Entscheidung, die eigentlich ohne Alternative war? Ja, das muss man. Denn was die Griechen gestern vollbracht haben, war und ist ein historischer Kraftakt, der im Sinne des Wortes an die Substanz geht. Auch an die politische Substanz der Europäischen Union, die nun zu weiterer Nothilfe verpflichtet ist

Muss man Respekt haben vor einer Entscheidung, die eigentlich ohne Alternative war? Ja, das muss man. Denn was die Griechen gestern vollbracht haben, war und ist ein historischer Kraftakt, der im Sinne des Wortes an die Substanz geht. Auch an die politische Substanz der Europäischen Union, die nun zu weiterer Nothilfe verpflichtet ist.Alle wissen, dass diese schwere Operation unvermeidbar war, weil sie als letzte Chance für den griechischen Patienten begriffen wurde. Ein "Nein" des Parlaments zum gewaltigsten Sparpaket in der Geschichte des Landes hätte unabsehbare Folgen auch für Europa und den Euro gehabt. Entsprechend laut und deutlich war das Aufatmen in den Hauptstädten der EU vernehmbar. Damit verbunden ist die Hoffnung auf einen radikalen Wandel der griechischen Mentalität, denn dass es so nicht weitergehen konnte, weiß jeder.

Gleichwohl ist der Kampf um die Überlebensfähigkeit Griechenlands und die Stabilität des Euro noch lange nicht gewonnen. Zum einen weiß niemand, ob Athen den 78-Milliarden-Kraftakt bis 2015 überhaupt stemmen kann (um die Dimension zu verdeutlichen: Deutschland müsste - im Vergleich zum BIP - rund 700 Milliarden Euro einsparen). Zum anderen sind die Finanzmärkte nur scheinbar beruhigt. Seriöse Experten sagen voraus, dass die desaströse Lage der griechischen Finanzen eine Umschuldung unausweichlich macht. Es ist feige und fahrlässig von den verantwortlichen Politikern in Brüssel, Paris und Berlin, diese Option weiter hinaus zu zögern.

Was ebenso fehlt, ist ein mutiger "Marshall-Plan" für Griechenland. Denn die beste OP nutzt wenig, wenn die aufbauende Reha anschließend vernachlässigt wird. Die Bürger Griechenlands werden die immensen Belastungen auf Dauer nur akzeptieren, wenn ihre Opfer in sinnvollen Investitionen münden, die Regeneration des Staates sicht- und spürbar wird.

Aus politischen, sozialen und ethischen Gründen ist es unerträglich, dass die Profiteure der Mega-Krise sich bei der Sanierung zieren und die Lasten allein den europäischen Steuerzahlern aufbürden wollen. Immerhin haben die (deutschen und französischen) Banken jetzt ihre Bereitschaft signalisiert, die Schulden der Hellenen strecken zu wollen. Ob das "Pariser Modell" mit Nullkuponanleihen tatsächlich umgesetzt wird und die erhoffte Wirkung zeitigt, ist offen. Noch wichtiger als die immer komplizierter werdende Finanzakrobatik der "Retter" aber wären grundlegende Änderungen am System: Solange die Vorgaben der EU oder des IWF von den Staaten selbst nicht ernst genommen werden und internationale Fondsgesellschaften sowie Rating-Agenturen die Spielregeln bestimmen, wird die Finanz-Malaise weitergehen. Mit allen Konsequenzen.

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