Der Koalitionspoker um die Flüchtlingshilfe

Berlin · In der Koalition bahnt sich ein Streit über die Finanzierung der Flüchtlingsströme an. SPD-Vize Ralf Stegner bezifferte die Mehrausgaben gestern "alles in allem auf gut 20 Milliarden Euro für die kommenden Jahre".

Geld, das laut Stegner durch neue Schulden aufgebracht werden sollte. In der Union ist man darüber alles andere als begeistert.

Sprachkurse, Wohnungen, Kitas und Hilfen für die Integration in den Arbeitsmarkt - zweifellos wird der Flüchtlingsansturm für kräftige Mehrausgaben bei den öffentlichen Haushalten sorgen. Aber wie viel genau? Darüber gibt es bislang nur vage Schätzungen. Allein schon deshalb, weil niemand konkret vorhersagen kann, wie hoch die Zahl der Asylsuchenden wirklich sein wird. Der Mannheimer Ökonom Clemens Fuest rechnet mit zusätzlichen Ausgaben von zehn Milliarden Euro noch in 2015. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die gleiche Summe für das gesamte nächste Jahr nötig. Diese Berechnung fußt allerdings auf der Prognose von 800 000 Flüchtlingen, die die Bundesregierung zuletzt für 2015 verkündet hatte. Inzwi schen gilt diese Schätzung jedoch als deutlich untertrieben. Deshalb wird das DIW seine Kostenschätzung auch nach oben korrigieren. Allerdings erst im Dezember, wie dort zu hören ist. Umso erstaunlicher, dass nun SPD-Vize Stegner eine konkrete Zahl nannte - und die Art der Finanzierung gleich mitlieferte. "Fachleute", die Stegner auf Nachfrage allerdings nicht näher benennen konnte, würden den Bedarf auf 20 Milliarden Euro taxieren. Und wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble selbst sage, dass die "schwarze Null" angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht mehr oberste Priorität haben könne, "werde ich bestimmt nicht widersprechen", setzte Stegner hinzu.

Tatsächlich ließ der Kassenwart der Nation schon mehrfach durchblicken, dass ein Haushalt ohne neue Kredite (also die "schwarze Null") vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise kein Dogma mehr sein muss. Nach aktuellem Stand lassen sich die bislang veranschlagten Zusatzkosten des Bundes von mindestens zwei Milliarden in diesem und mehr als sieben Milliarden Euro im nächsten Jahr jedoch über die florierende Konjunktur finanzieren, die den öffentlichen Kassen ein kräftiges Plus bei den Steuermehreinnahmen beschert.

In der Union zeigte man sich dann auch schwer verärgert über den Vorstoß des SPD-Vizes. Zum einen, weil die von Stegner genannte "Hausnummer" von 20 Milliarden Euro nicht durch einen konkreten Investitionsbedarf unterlegt ist. Und zum anderen, weil sich der Finanzbedarf zum Beispiel auch danach richtet, wie schnell die Asylverfahren abgewickelt werden. So wird in der Union gefordert, dass die Bundesländer etwa bei Abschiebungen von unbegründeten Asylfällen besser vorankommen müssten. Gerade Schleswig-Holstein tue sich dabei schwer - SPD-Vize Stegner ist dort zugleich auch Landeschef seiner Partei.

Stegner wiederum betonte auf Nachfrage, dass zusätzliche Ausgaben für Flüchtlinge keinesfalls über höhere Steuern finanziert werden dürften. Bei den Sozialdemokraten geht nämlich die Sorge um, dass derlei Maßnahmen nur den Rechtspopulisten in die Hände spielen. Wenigstens in diesem Punkt liegt der stellvertretende SPD-Vorsitzende mit der Union auf einer Linie: Steuererhöhungen schließen auch CDU und CSU kategorisch aus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort