Der Irrtum der Nato

Die Nato wurde in der Ukraine-Krise von Moskau regelrecht überfahren. Noch vor gut eineinhalb Jahren sprach der damalige deutsche Verteidigungsminister offen aus, was alle glaubten, denken zu dürfen: „Wahrscheinlicher als Landes- oder Bündnisverteidigung sind heute Einsätze der Bundeswehr zur Krisenbewältigung und Konfliktverhütung – nahezu überall auf der Welt.

" Es war ein Irrtum. Möglicherweise sogar ein folgenschwerer Fehler, wie die Militärs der Allianz jetzt hinter vorgehaltener Hand einräumen. Während Moskau in den letzten Jahren seinen Wehretat um jährlich bis zu drei Prozent aufstockte, baute der Westen systematisch Soldaten, Panzer, Flugzeugträger und andere Waffensysteme ab. Das rächt sich, möglicherweise schon jetzt. Man setzte auf Diplomatie und verzichtete als Entgegenkommen gegenüber Russland darauf, Truppen in Osteuropa zu stationieren. Hat man zu früh abgerüstet?

Im Bündnis macht sich Frustration breit. Die offenkundige Wirkungslosigkeit der Diplomatie, lässt die Rufe der Scharfmacher lauter erscheinen, als sie sein sollten. Denn natürlich darf weder dem Westen noch dem Osten an einer neuen Konfrontation gelegen sein. Die Schwierigkeit liegt darin, dass diese Einsicht bisher nicht von Russland geteilt wird. Und so grassieren insbesondere bei den Staaten, deren Erinnerung an ein Leben unter sowjetischer Diktatur noch nicht verblasst ist, Ängste, die nächsten Opfer eines Regimes zu sein, für das die Grenzen anderer Länder kein Tabu sind. Polens Regierungschef Donald Tusk mahnte bereits, die Europawahl im Mai zu einer Abstimmung über Krieg und Frieden zu machen. Man muss solche Ängste ernst nehmen, weil sie im Bündnis jene Stimmen fördern, die neue Aufrüstung fordern - und mehr militärische Präsenz an Russlands Grenzen.

Noch weiß die Nato nicht wirklich, ob sie vom sanften Kurs einer politisch-diplomatischen Allianz abweichen und wieder zum militärischen Bündnis werden soll. Auch wenn entsprechende Pläne jetzt zunächst einmal geprüft werden, dürfte die Entscheidung wohl kaum vor dem Nato-Gipfel im September fallen. Bis dahin wird es Nadelstiche wie eine verstärkte Luftraum-Überwachung geben, die Marine wieder häufiger in See stechen. Aber das sind nur Signale, noch kein Kurswechsel.

Sollte die Nato aber angesichts einer russischen Politik, die jede ausgestreckte Hand ausschlägt, ihre Erweiterungspläne aus der Schublade holen und der Ukraine, Georgien, Moldawien oder Aserbaidschan die Türe zur Vollmitgliedschaft öffnen, wäre ein neuer Kalter Krieg nicht mehr aufzuhalten. Mit dem Beschluss, die militärische Kooperation auszusetzen, hat die Nato gestern Moskau gezeigt, dass sie seinem Treiben nicht länger zusehen wird. Ein Warnschuss.

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