Der Hase und der Wolf

Ein Witz kursiert in Russlands Journalistenkreisen. Präsident Putin soll ihn erzählt haben, als er mit Bundeskanzlerin Merkel zusammentraf.

Der Witz geht so: Ein Bär, ein Wolf und ein Hase treffen sich immer wieder im Wald. Eines Tages wird der Hase gefressen, eine Gedenktafel soll her. "Für einen Freund", schlägt der Bär als Inschrift vor. "Für einen Feind", sagt der Wolf. "Für einen Partner!", rufen schließlich beide. Wladimir Putin soll herzlich gelacht haben, als er den Witz seinem Publikum darbot. Ist aus russischer Sicht ein Partner also einer, der gefressen wird?

Oft mag das so erscheinen. Mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein, gestärkt durch die Massen an Rohstoffen, konnte Russland seinen "Partnern" lange Zeit seine Wünsche diktieren. Seine Preise fürs Öl, für Gas, für Holz, Metalle, Erze. Selbst in der Ukraine-Krise greifen die alten Reflexe: "Bezahlt, oder ihr werdet gefressen." Mag das Land auch bereits am Boden liegen. Russland aber droht nun mit in den Abgrund gerissen zu werden, treibt in die politische Isolation. Also wendet es sich Peking zu, sucht die Nähe, den Partner. China aber lässt sich nicht leicht fressen. Deshalb muss Russland nun zappeln.

Immerhin, im Schatten des Zusammenbruchs der Ukraine treffen sich die russisch-chinesischen Interessen. Sind sich beide Länder doch vor allem in einem Leitsatz stets einig: dem Westen die Stirn bieten. So hofft Moskau auf Freunde in Peking - und China auf Energie aus dem russischen Osten. Den Chinesen geht es ausschließlich um die wirtschaftlichen Aspekte der Kooperation. Politisch verfolgt Peking dagegen weiter seine Schaukelpolitik. Die Führung weiß, welchen Stellenwert ein Eingreifen in die Integrität und Souveränität eines Land für das chinesische Verständnis hat - Xinjiang, Tibet, Taiwan sind ungeklärte Fragen. Peking weiß aber auch, dass es wegen seiner Energieknappheit russische Hilfe braucht. Daher verurteilt man Moskaus Handeln nicht, sondern reicht dem Partner die Hand .

Die Zusammenarbeit der Nachbarn reicht Jahrzehnte zurück, nun wird sie kräftig ausgebaut. Während Russland seinen asiatischen Bruder neu entdeckt, spielt die Volksrepublik ihre noch ungewohnte Position aus. Peking leistet sich Stärke. Am deutlichsten wird das im Ringen um den neuen Gasliefervertrag. In Shanghai sollte er gestern endlich unterschrieben werden, doch der Durchbruch lässt weiter auf sich warten. Seit mehr als zehn Jahren verhandeln beide Seiten über die Lieferungen aus Sibirien - und streiten über den Preis. Setzen sich die Chinesen mit ihren Bedingungen durch, "fressen" sie also den Partner Russland, dann verliert Moskau Geld. Es bleibt das Dasein als schnöder Lieferant, Russland schlüpft also buchstäblich in die Rolle des Hasen. China dagegen hat eine erfolgreiche Wandlung zum Wolf hingelegt.

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