Der „gezähmte“ Tsipras erfüllt sich einen Traum

Athen · Die Europäische Union braucht eine neue Vision. Und welche Elemente soll diese Vision haben? Die Vertreter von sieben Südländern der EU waren sich gestern einig: Statt endloses Sparen muss es Investitionen und Wachstum geben. Eine Festung Europa dürfe es nicht geben. Die EU sollte Wege suchen, die Migration dort zu stoppen, wo sie entsteht. Zudem solle den Südstaaten der EU geholfen werden, ihre Grenzen gegen die illegale Migration zu schützen. So werde man auch die Sicherheit stärken, sagten die Politiker bei dem Regionalgipfel in Athen .

Das Treffen in der griechischen Hauptstadt hatte einen historischen Charakter. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU kamen ihre wichtigsten Mittelmeer-Anrainer zusammen. "Warum konnten es bislang die Nord- und die Visegrad- Staaten tun und wir sollen es nicht?", fragte ein griechischer Diplomat. Athens Ministerpräisdent Alexis Tsipras und die anderen angereisten Regierungschefs wussten, dass Politiker im Norden dem T reffen und den Teilnehmern misstrauen. Schon im Vorfeld stellte Tsipras klar: Auf keinen Fall werde damit eine Front gegen die Nordstaaten der EU gemacht.

Er selbst verwirklichte sich mit dem Gipfel einen seiner ersten politischen Träume. Unmittelbar nach seiner Wahl im Februar 2015 startete er eine Rundreise in die Südstaaten , um Verbündete gegen die von Brüssel verordnete Austerität zu finden. Das Südländer-Projekt scheiterte damals kläglich. Italiens Regierungschef Matteo Renzi und Frankreichs Präsident François Hollande sagten ihm, er solle erst Ordnung im eigenen Haus schaffen. Die Zeiten haben sich aber geändert. Der Ex-Revolutionär Tsipras sei "gezähmt", sagte ein Diplomat im Vorfeld.

Das Klima in Athen war denn auch herzlich. Neben Hollande und Renzi kamen der portugiesische Regierungschef António Costa sowie die Regierungschefs Zyperns und Maltas, Nikos Anastasiades und Joseph Muscat. Der Interimsregierungschef Spaniens, der Konservative, Mariano Rajoy , sagte dagegen ab. Für ihn kam ein Staatssekretär. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble nannte den Gipfel gestern denn auch ein "sozialistisches Parteiführertreffen". Und dabei komme "meistens nicht so furchtbar viel Kluges raus".

Tsipras, Hollande, Renzi und Co. verbindet eine gemeinsame Sorge: Sie brauchen dringend Maßnahmen, die Arbeitsplätze schaffen. Sie alle müssen mit schlechten Umfrageergebnissen umgehen. Hollande sieht mit Bangen der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr entgegen. Er kann die Rolle des Anführers der Südstaaten der EU gut gebrauchen. Tsipras kann mit dieser Konferenz für kurze Zeit von den neuen Rentenkürzungen und Steuererhöhungen ablenken, die die Griechen zum Verzweifeln bringen. Und der Italiener Matteo Renzi wurde sogar emotional: Europa könne eine "sanfte Kraft" sein. Dies könne aber nicht auf der Grundlage der Bürokratie und der Austerität stattfinden.

Das Problem: Die Südstaaten haben selbst kein Geld, um die Wirtschaft anzukurbeln. Demnach sind alle diese Wünsche abhängig vom Willen der Nordstaaten. Somit blickten alle doch mit großer Spannung auf den Sondergipfel der EU in Bratislava.

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