Der General und die Wahrheit

Angela Merkel und ihre Minister haben einen Amtseid geschworen: Sie sind verpflichtet, „das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes (zu) wahren und (zu) verteidigen“. Artikel 10 der Verfassung sagt unmissverständlich: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

" In der Konsequenz heißt das: Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Daten ihrer Bürger geschützt werden.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erweckt bisher allerdings nicht den Eindruck, als berühre ihn der anglo-amerikanische Schnüffel-Skandal in besonderer Weise. Er will jetzt in die USA reisen und sich berichten lassen - man ahnt schon, was dabei herauskommt. Friedrich gehört zu den Menschen, die noch im Weltbild der 50er Jahre gefangen sind, als Deutschland voller Dankbarkeit zum "großen Bruder" aufschaute. Doch aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist ein "Big Brother" Orwell'scher Prägung geworden, traumatisiert vom Terrorismus und besessen von der Idee, die gesamte Menschheit zu kontrollieren. Leider steckt dahinter eine Cowboy-Mentalität, nämlich die des schnellen Colts. Und die Weigerung, ein gravierendes Problem bis zum Ende zu durchdenken: Eine Gesellschaft, die von Geheimdiensten überwacht wird, ist nicht mehr frei. Und sie gerät in Teufels Küche, wenn mal eine "falsche Person" an die Schaltstellen der Macht kommt.

Richtig paradox wird die Späh-Affäre, wenn man NSA-Chef Keith Alexander hört: Die Debatte um Bürgerrechte und nationale Sicherheit sei "gesund", sagte er diese Woche. Sie sei sogar "entscheidend für das Wohlergehen einer repräsentativen Demokratie". Wie wahr, Herr General. Aber warum wird der Auslöser dieser fruchtbaren Debatte dann so unerbittlich gejagt? Wieso scheuen die USA nicht davor zurück, den Präsidenten des souveränen Staates Bolivien von europäischen Vasallen wie einen Kleinkriminellen behandeln zu lassen? Der Vorfall von Wien zeigt auf erschreckende Weise, wohin Kadaver-Gehorsam führen kann: Ganz Südamerika ist nach dieser Demütigung emotional aufgewühlt.

Nochmals: Nicht der angebliche Verrat ist kritikwürdig, sondern die geheime und grenzenlose Ausspähung von Abermillionen Menschen. Nicht Edward Snowden gehört an den Pranger, sondern der scheinheilige Präsident Barack Obama, der vor seiner Wahl ganz anders argumentierte. Auch im Interesse des transatlantischen Bündnisses ist deshalb der Gebrauch der Vernunft gefragt: Die Geheimdienste können ja schnüffeln - aber nur, wenn sie streng kontrolliert werden und Missbrauch kategorisch ausgeschlossen ist. Wenn man dann noch Snowden in Ruhe lässt und ihm für seinen Dienst an der Allgemeinheit dankt, kehrt wieder Frieden ein.

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