Der frustrierte Nachbar

Gefährlicher als jeder Gegner können Freunde sein – diese Erfahrung macht momentan Frankreichs Präsident François Hollande. Ein Teil seiner eigenen Partei übernimmt die Arbeit der Opposition gleich mit.

Als hätte er nicht genug zu tun mit dem massiven Vertrauensverlust beim Volk, mit einem Rekord bei den Arbeitslosenzahlen und der beunruhigenden Wirtschaftslage insgesamt - nun wird er auch noch mit der Spaltung der Sozialisten konfrontiert. Die Partei teilt sich in einen reformorientierten "sozialdemokratischen" und einen linken Flügel, der fürchtet, eine zu konsequente Sparpolitik, wie Angela Merkel sie verkörpert, töte jedes noch verbliebene Wachstums-Potenzial ab. Das Kräfteverhältnis mit Deutschland wird zu einem innenpolitisch diskutierten Thema in Frankreich, seit es den Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit infolge seiner wirtschaftlichen Schwäche fürchtet.

Denn die ungewöhnlich schroffe Kritik der Sozialisten an der Kanzlerin in einem innerparteilichen Papier, das seit Tagen für Aufruhr sorgt, ist auch eine Warnung an Hollande, auf ihre Linie einzuschwenken und sich zu sehr von der "Sparkanzlerin" dominieren zu lassen.

Ihre Stärke gilt als seine Schwäche. Schon im Wahlkampf vor einem Jahr war er um eine selbstbewusste Position gegenüber Merkel bemüht, schon allein um dem Polit-Paar "Merkozy" die Stirn zu bieten. Auch seit der Wahl haben beide Staatschefs nicht zu einem echten Vertrauensverhältnis gefunden. Empfindlich reagiert man in Paris auf alles, was als kluger Ratschlag des wirtschaftlich florierenden Deutschlands daherkommt. Über Vorgehensweise und Tempo beim Umsetzen von Strukturreformen ist man sich ebenso wenig einig wie über die Rezepte für den Ausweg aus der europäischen Schuldenkrise.

Zwar liegen die Feierlichkeiten zum Jubiläum des Elysée-Vertrages, die begleitet waren von überschwänglichen Freundschafts-Bekundungen, nur wenige Monate zurück. Doch erst vor kurzem sprach Hollande selbst von "Spannungen" mit der Kanzlerin, wenn auch von "freundschaftlichen". Dass er auf einen Machtwechsel in Berlin im Herbst oder wenigstens auf eine große Koalition mit einer gestärkten SPD hofft, gilt als offenes Geheimnis.

Trotzdem kommt es ihm nicht entgegen, wenn sich nun ein Teil seiner Partei verselbstständigt und Öl ins Feuer gießt, indem die Kanzlerin offen angegriffen wird. Auf Druck von Premierminister Jean-Marc Ayrault wurden die deutlichsten Stellen in dem Entwurf inzwischen zwar entschärft und persönliche Bezugnahmen auf Merkel gestrichen. Doch letztlich traf dieser Schuss auch Hollande: Untergräbt er doch seine Autorität als Staatschef, der die Richtung vorgibt - oder vorgeben sollte.

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