Der Freihandel wird die SPD nicht spalten

Berlin · Hunderttausende Demonstranten werden heute um 12 Uhr in sieben deutschen Großstädten erwartet. Die Aufwallung gilt dem SPD-Parteikonvent am Montag in Wolfsburg, der über das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta entscheiden soll. Seit dem SPD-Parteitag 1979, als es um den Nato-Doppelbeschluss ging, hat es so einen öffentlichen Druck nicht mehr gegeben. Sieben Umweltorganisationen schrieben einen offenen Brief an die Delegierten: Das Abkommen sei "trotz aller erreichten Veränderungen eine Gefahr für die Demokratie". Zudem fürchten sie, dass es nur der Wegbereiter für das amerikanisch-europäische Handelsabkommen TTIP sei. "Wer TTIP ablehnt, kann Ceta nicht gutheißen", formulierte Foodwatch . Die vier größten deutschen Wirtschaftsverbände hielten dagegen, ebenfalls mit einem offenen Brief.

Organisiert hat die Proteste das globalisierungskritische Büro Campact aus Bremen. Es setzt erklärterweise immer da an, wo Entscheidungen noch beeinflussbar sind, weil es regierungs- oder parteiinterne Bruchstellen gibt. Im Fall Ceta sind das die SPD-Linken. Sie lehnen TTIP und Ceta ab, entsprechende Anträge liegen dem Konvent vor. Allerdings ist es Parteichef Sigmar Gabriel im Vorfeld gelungen, dem Widerstand die Spitze zu nehmen.

Erstens ließ er das Vertragswerk vom Chef des Handelsausschusses des Europaparlaments, Bernd Lange (SPD ), ausführlich analysieren. Das Ergebnis, verschickt an alle Parteimitglieder: Alle zuvor von der SPD formulieren "roten Linien" seien eingehalten worden. Ceta sei sogar fortschrittlicher als mancher innereuropäische Handelsvertrag. Wo es trotzdem noch Bedenken gab, versprach Gabriel Nachverhandlungen mit Kanada, die er diese Woche bei einem Besuch in Ottawa absicherte. Premier Justin Trudeau versprach, nachträglich "Klarstellungen" vorzunehmen und die "progressiven Elemente von Ceta" auszubauen. Trudeau, weit weniger wirtschaftsliberal als sein Vorgänger, ist selbst an Korrekturen interessiert.

Und drittens holte Gabriel die Gewerkschaften mit ins Boot. Sie rufen zwar teilweise noch zu den heutigen Demos auf, doch keiner ihrer Chefs redet dort. Auch der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirke nicht. Bisher war er einer der schärfsten Kritiker, jetzt erkennt er sogar "reelle Chancen für Fortschritte". DGB-Chef Reiner Hoffmann fuhr vorige Woche ebenfalls nach Ottawa, um sich mit den dortigen Gewerkschaften über mögliche Nachverhandlungen kurzzuschließen.

Gabriel bekam für seinen Beschlussvorschlag zum Freihandel im Parteivorstand mit nur einer Gegenstimme und drei Enthaltungen vorletzte Woche bereits großen Rückhalt. Alle Spekulationen, er könnte in Wolfsburg scheitern und dann eventuell sogar vom SPD-Vorsitz zurücktreten, sind seitdem verstummt, auch wenn die Zahl der Nein-Stimmen beim Konvent höher sein wird als in der Parteispitze.

Die Proteste von "Campact" und anderen dürften sich nach dem Montag ganz auf TTIP richten. Gabriel kann das ziemlich egal sein. Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin ergab, dass nur rund fünf Prozent der Anti-TTIP-Demonstranten SPD-Wähler sind, aber mehr als 85 Prozent Anhänger von Linken oder Grünen. Zudem hat der Wirtschaftsminister TTIP ohnehin schon für gescheitert erklärt - weil auch die Amerikaner es nicht mehr so richtig wollen.

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