Der Freihandel fährt aufs Abstellgleis

Brüssel · Es ist die Hoffnung, die bekanntlich zuletzt stirbt. Dabei siecht das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP schon ziemlich lange dahin, genau genommen seit den ersten Verhandlungsrunden. Wenn das Vorhaben eines gemeinsamen transatlantischen Wirtschaftsmarktes aber nun tatsächlich auf Eis gelegt oder gar beerdigt werden sollte, hat das nur wenig mit der künftigen Regierung des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump zu tun.

Das Prinzip "America first" wird seit nunmehr 15 Verhandlungsrunden vehement verteidigt und hat die Europäer ein ums andere Mal massiv verärgert. Denn Washington wollte wichtige Bereiche, beispielsweise Aufträge der öffentlichen Hand oder solche für den inneramerikanischen Handel, nie wirklich für Wettbewerber zugänglich machen. Es soll also niemand so tun, als sei Trump der Erfinder des amerikanischen Protektionismus. Der wird schon seit George W. Bush praktiziert. Und auch sein Nachfolger Barack Obama hat an diesen Prinzipien nicht gerüttelt.

TTIP entpuppte sich im Laufe der Verhandlungen immer mehr als Instrument, das vor allem die USA nutzen wollten, um ihren Fuß in den europäischen Binnenmarkt zu bekommen. Sollte TTIP nun ausgesetzt werden, schaden sie sich also selbst mehr als Europa. Dennoch wäre eine Absage für die europäischen Unternehmen ein schwerer Rückschlag, wie es beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag sowie bei den Handwerkskammern heißt. Schließlich hatte man darauf gehofft, den eigenen Markt um die rund 300 Millionen amerikanischen Verbraucher vergrößern zu können. Und auf eine Umsetzung der Vereinbarung deutet momentan tatsächlich wenig. So heißt es in einer Analyse der HSH Nordbank : "Unter Trump dürfte TTIP keine Chance auf Realisierung haben. Selbst wenn Präsident Obama noch das Wunder gelingen sollte, das Abkommen bis Ende des Jahres zu verabschieden, dürfte die Ratifizierung von einer Regierung Trump blockiert werden."

Andererseits könnte die EU durchaus andere Partner finden, wenn sich die politische Großwetterlage ändert. Schon heute entwickeln sich intensive Wirtschaftsbeziehungen zu den Staaten der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft wie Aserbaidschan - übrigens mit der ausdrücklichen Billigung Russlands. Und auch die Idee von Präsident Wladimir Putin von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, der vom Atlantik bis nach Sibirien reicht, ist noch nicht wirklich vom Tisch.

Das wird man dem neuen US-Präsidenten möglicherweise erst noch aufzeigen müssen, damit er versteht, dass es bei TTIP sowie bei anderen Freihandelsverträgen nicht um den Ausverkauf der USA geht, sondern unter anderem darum, den Westen ökonomisch zusammenzuhalten. Denn an einer EU, die sich - trotz aller aktuellen Widerstände und Brüche - am Ende immer intensiver mit Moskau und Peking verbrüdert, kann auch Donald Trump nicht gelegen sein.

TTIP mag in der Öffentlichkeit umstritten oder gar verhasst sein. Für beides gibt es Gründe, teilweise sogar nachvollziehbare. Europas Wirtschaft aber würde von einer Kopie des kanadischen Ceta-Vertrags, die mit Washington vereinbart würde, immens profitieren. Vielleicht sollte man Trump nur ein wenig Zeit lassen, um seine rustikalen Wahlkampfsprüche mit der politischen Realität in Einklang zu bringen.

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