Der Dämon von 1914

Der Krieg, der die Welt veränderte, begann mit einem Attentat. Vor genau 100 Jahren saß ein frustrierter Nationalist in einem Café in Sarajevo und wartete auf den Konvoi des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand.

Die tödlichen Schüsse des Fanatikers Gavrilo Princip auf das Thronfolgerpaar entfachten ein Feuer, das sich zum schlimmsten Flächenbrand der Geschichte ausweiten sollte. Denn ohne den Ersten Weltkrieg hätte es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben. Der Menschheit wäre unendliches Leid erspart geblieben.

Noch 100 Jahre später zerbrechen sich kluge Leute den Kopf über die Frage, ob der vermaledeite Krieg unserer Groß- und Urgroßväter schicksalhaft war. Weil kein einzelner Schuldiger für das Desaster zu benennen ist (im Gegensatz zum Hitler-Krieg), dafür aber eine fatale Melange aus Großmannssucht, Ehrpusseligkeit und ökonomischen Interessen explosiv wirkte, haftet etwas Fatalistisches an diesem Waffengang, dessen anfänglicher Hurra-Patriotismus in tiefster Verstörung endete. Der Teufelspakt zwischen den Mittelmächten ging furchtbar aus, nicht nur für die Deutschen, die von den siegreichen Mächten der Entente zurechtgestutzt wurden. Die Rache der Sieger hatte auch einen Namen: Versailles . Die "Schmach von Versailles ", die den Nazis so in die Hände spielte, wurde zum Fanal für weiteres Unheil - mit infernalischen Folgen für ganz Europa und darüber hinaus.

Heute, 100 Jahre danach, sind Schuldzuweisungen an irgendwelche toten Versager sinnlos, obwohl gerade der deutsche Kaiser Wilhelm II. mit seinem flackernden Gigantismus eine verhängnisvolle Rolle spielte. Heute zählt allein die Frage, welche Lehren aus dem historischen Irrsinn zu ziehen sind. Nur Ignoranten können bestreiten, dass Militarismus und Nationalismus als Hauptschuldige dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts am Pranger stehen. Und nur Unbelehrbare können leugnen, dass freiheitliches Denken und demokratische Strukturen unabdingbar sind, um der Verblendung des Geistes entgegen zu wirken.

Leider ist ebenso unbestreitbar, dass Kriege eine Konstante in der Menschheitsgeschichte sind, dass irrationales Handeln, Machtgier und Gewaltbereitschaft offenbar essenziell zur menschlichen Natur gehören. Korea und Vietnam, der Balkan-Krieg, die Vorgänge in Irak, Ruanda, Syrien, der Ukraine oder der schwelende japanisch-chinesische Konflikt um Hoheitsgebiete zeigen auf ernüchternde Weise, dass die Menschen nicht sehr viel klüger geworden sind. Die Lehre aus Sarajevo kann deshalb nur heißen, dass allein gegenseitiger Respekt, ernsthafter Interessenausgleich und funktionierende Institutionen helfen können, den Dämon in uns zu zügeln.

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