Der Anfang vom Ende

Theoretisch ist Angela Merkel nur Kandidatin, faktisch aber bedeutet ihre Erklärung mit großer Wahrscheinlichkeit: vier weitere Jahre Bundeskanzlerin Angela Merkel . Nur der Koalitionspartner steht noch nicht fest.

In Zeiten wie diesen ist das für Europa und die Welt erst mal eine gute Nachricht. Merkel hat national wie international einen klaren, berechenbaren Standpunkt. Sie ist Transatlantikerin und Europäerin durch und durch, sie kann Nationalismus nicht leiden, ebenso wenig gesellschaftlichen und ökonomischen Stillstand. Sie sucht Bündnisse und meidet außen- wie innenpolitische Konfrontationen, solange es irgendwie geht. Sie verteidigt den Standpunkt der Menschlichkeit in der Flüchtlingskrise. Das alles ist in einer Welt der Hitzköpfe, Machos, Zyniker und politischen Spieler wertvoller denn je.

Four more years, vier weitere Jahre - das ruft, anders als noch 2009 und 2013, dennoch niemand. Im Gegenteil. Merkels vierte Kanzlerkandidatur ist auch eine Kandidatur aus Verlegenheit. Die Union hat niemanden sonst. In einem ganzen Regionalteil der Partei, in der CSU , denkt mancher sogar wie die Rechten: "Merkel muss weg." Man traut sich nur nicht, daraus eine offizielle Position zu machen. Und zwar deshalb, weil man die Konsequenzen bei der eigenen Landtagswahl fürchtet. Nicht aus Respekt vor der Kanzlerin .

Angela Merkel geht diesmal schwächer denn je ins Rennen. Und die Frage wird sein, ob sie so überhaupt noch die Impulse setzen kann, die das Land braucht. Ob sie genug Rückhalt in den eigenen Reihen findet und sich durchsetzen kann, wenn es strittig wird. Falls sie die Wahl gewinnt, wird es eine Kanzlerschaft mit verringerter Autorität sein, die eine fünfte Amtszeit ganz sicher nicht zulassen wird. So gesehen war die gestrige Entscheidung der Anfang vom Ende.

Damit rückt die tragische Seite dieser vierten Kanzlerkandidatur in den Fokus: Den besten Zeitpunkt zum Abdanken, nämlich auf dem Höhepunkt, den hat nun auch Angela Merkel verpasst. Wie Helmut Kohl , der schließlich abgewählt wurde, wie Konrad Adenauer, den die Union seinerzeit regelrecht aufs Altenteil drängen musste. Merkel hatte es ursprünglich anders machen wollen. Aber wie es so ist: Immer fühlte sie sich gerade unentbehrlich, immer war das Risiko ausgerechnet für die kommende Wahl zu groß.

2021 aber wird es noch schwieriger werden, vor allem für ihre Partei, wenn die weitere vier Jahre als "Mutti"-Wahlverein im Passiv-Modus vor sich hindümpelt. Wenn Merkel also überlegt, was sie in den nächsten vier Jahren mit sich und ihrer Macht zum Wohle aller noch anstellen kann, sollte eines ganz oben auf ihrer Aufgabenliste stehen: Nachfolger aufbauen und sauberen Abgang planen.

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