Den Verzweifelten Wege lassen

Niemand möchte in diese Situation kommen, nicht für sich selbst, nicht für einen nahen Angehörigen: Sich töten zu wollen aus Verzweiflung. Oder von einem Verzweifelten gebeten zu werden, beim Töten zu helfen.

Der aktuell laufende Film "Hin und weg" hat eindrucksvoll ein solches Schicksal geschildert: Ein noch junger Mann, der weiß, das ALS ihm bald jede Handlungsfreiheit nehmen wird, beendet sein Leben im Kreis seiner Frau und seiner besten Freunde in Belgien , wo Ärzte den Todescocktail, anders als in Deutschland, sogar aktiv spritzen dürfen. Aber, auch das ist anzumerken, in Belgien sind die Grenzen seit der Freigabe der Sterbehilfe immer weiter verschoben worden, selbst hin zu Minderjährigen. Ein anderer Fall war die 29-jährige Amerikanerin Brittany Maynard, deren im Internet angekündigter assistierter Selbstmord so verstörend wirkte, weil es sich um eine junge Frau von blühender Schönheit handelte. Ihren wachsenden Hirntumor freilich konnte man nicht sehen. Der Vatikan nannte den Akt ein "Nein zum menschlichen Leben". Aber hat das Leben Maynard überhaupt noch die Frage Ja oder Nein gestellt?

Zum Leben gehört der Tod, gehört auch die Freiheit, in Würde zu sterben, ehe eine Krankheit den Menschen in seinen Körper einsperrt und die Apparatemedizin die Herrschaft übernimmt. Das ist das Eine. Aber um jedes Leben muss man kämpfen. Das ist das Andere. Gilt das nicht mehr, dann wird man Sterbenskranken bald den Suizid als Regel nahe legen, ehe man es mit teurer Palliativmedizin versucht. Mit der Alterung der Gesellschaft nimmt die Bedeutung dieses Themas immer mehr zu.

Der Bundestag muss ein Gesetz machen, denn von allein werden ethische Grenzen nicht eingehalten. Es hat ja bereits Vorformen kommerzieller Sterbe-Unterstützung bei uns gegeben. Es ist gut, wie die Abgeordneten sich der Frage nähern. Zunächst heute in einer sehr langen, offenen Debatte, bei der jeder seine Meinung sagen soll. Partei- und Fraktionszwang haben bei diesem Thema nichts, aber auch gar nichts verloren. Kirchenzugehörigkeiten übrigens auch nicht. Als Gesetzgeber müssen die Abgeordneten für die gesamte Gesellschaft Regeln finden, auch für die Nichtgläubigen. Es müssen Regeln sein, die den Verzweifelten Wege lassen und den am meisten Betroffenen, den Ärzten, in ihrer Entscheidungssituation helfen. Es darf keinen staatlichen Zwang zum Leben geben.

Aber gleichzeitig gilt auch, dass die Büchse der Pandora namens Euthanasie geschlossen bleiben muss. Es ist eine Debatte, die genaues Hinsehen auf jedes Einzelschicksal und genaues Hinhören auf jedes Argument verlangt. Und die eines ganz gewiss nicht verträgt: moralischen Rigorismus.

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