Den Alten liegt viel an einer „enkeltauglichen“ Welt

Hamburg · Hurra, die Deutschen werden immer älter! 15 Jahre haben wir seit Mitte des 20. Jahrhunderts individuell dazugewonnen.

Jedes zweite Kind, das heute geboren wird, hat statistische Chancen, 100 Jahre alt zu werden. Wieso nur verbuchen wir den demografischen Wandel zuallererst als Problem - und wieso bleibt das Alter ein Tabuthema?

Weil die Deutschen Angst vor dem Alter haben. Aber es ist nicht die Angst vor Krankheit oder die vor immer längerer Lebensarbeitszeit. Die Deutschen befürchten vielmehr, dass in der alternden Gesellschaft Solidarität und soziale Gerechtigkeit nicht mehr gefragt sind. Das zeigt eine aktuelle Studie der Hamburger Körber-Stiftung und des Bremer Beratungsunternehmens nextprac tice. Die Befragung von 205 Menschen aller Altersgruppen legt unbewusste Wertemuster und kollektive Einstellungen offen - das, was die Deutschen wirklich über das Alter denken.

Die Befragten haben demnach das Gefühl, dass die Effizienzschraube und der stete Leistungsdruck der Arbeitswelt das Alter erreicht haben. Alt sein als Schonraum, als verdiente Ruhe nach der Arbeits- und Familienphase? Das ist spätestens mit den wiederkehrenden Appellen der Gesellschaft und Politik an die Leistungsbereitschaft der Alten vorbei. Appelle, die als großer Druck empfunden werden. "Aktives Alter" heißt das allein gültige Leitbild fürs Altwerden - wehe dem, der sich widersetzt.

Der wachsende Bevölkerungsanteil der Älteren ist heute gebildeter, gesünder und vermögender als jede Generation zuvor. Aber es ist die Frage, wie diese Älteren adressiert werden. Wer sie politisch in die Pflicht nehmen will, wer suggeriert, dass die Probleme der alternden Gesellschaft wie unsichere Renten, Pflegenotstand oder Altersarmut durch privates Engagement zu lösen seien - und am besten von den Alten selbst -, der wird Gegenwind bekommen. Wer sie aber an ihrer Bereitschaft packt, sich im Sinne einer gerechteren Gesellschaft für Wandel einzusetzen, der wird die Alten sogar für gesellschaftliche Umverteilungsprozesse gewinnen können.

Der Sachbuch-Autor Wolfgang Gründinger beispielsweise sieht die Älteren als Bündnispartner der jungen Generation, um "das Land enkeltauglich zu machen" und dafür zu sorgen, "die Welt ein bisschen besser zu hinterlassen". Der 29-Jährige fordert mit klaren Worten die Solidarität der Alten, ihre demokratische Macht, ihre Neugier, ihre Zeit und ihr Geld. Und er kann sich Hoffnungen machen, gehört zu werden. Denn der Wunsch nach einer für alle Generationen sozial gerechten Gesellschaft wird auch von denen mitgetragen, denen es selbst gut geht. 44 Prozent der Befragten der Körber-Studie erwarten für sich persönlich ein durchaus auskömmliches Leben im Alter. Eine Mehrheit von ihnen teilt aber die große Sorge, dass sich die Einkommens-Schere in der deutschen Gesellschaft weiter öffnen wird.

Die Studie straft damit auch jene Lügen, die Alter per se mit Besitzstandswahrung und Egoismus verunglimpfen. Vielmehr wird deutlich: Die Älteren haben ein feines Sensorium für gesellschaftliche Verwerfungen - und können sich so wenig wie die Jüngeren ein gutes Leben im Alter ohne Solidarität vorstellen. Karin Haist leitet den Bereich Gesellschaft der Körber-Stiftung, die "Potenziale des Alters" zu einem ihrer Kernthemen gemacht hat. Mit dem Deutschlandfunk und der Saarbrücker Staatskanzlei veranstaltet die Stiftung diesen Donnerstag ab 18 Uhr einen "Generationendialog" in der Staatskanzlei.

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