Dem neuen EU-Ratschef traut man daheim wenig zu

Madrid. Eines kann man ihm sicherlich nicht vorwerfen: Dass er kein überzeugter Europäer wäre. Die Welt brauche "ein starkes Europa, das seine Führungsrolle auszuüben weiß", sagt der spanische Regierungschef Jose Luis Zapatero (49), der seit dem Neujahrstag bis zum Ende des ersten Halbjahres als turnusmäßiger EU-Ratsvorsitzender amtiert. Wenn auch an der Seite des neuen "Mr

Madrid. Eines kann man ihm sicherlich nicht vorwerfen: Dass er kein überzeugter Europäer wäre. Die Welt brauche "ein starkes Europa, das seine Führungsrolle auszuüben weiß", sagt der spanische Regierungschef Jose Luis Zapatero (49), der seit dem Neujahrstag bis zum Ende des ersten Halbjahres als turnusmäßiger EU-Ratsvorsitzender amtiert. Wenn auch an der Seite des neuen "Mr. Europa", des nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages frisch gebackenen ständigen Ratspräsidenten Herman van Rompuy (62). Die "europäische Berufung" Zapateros wird auch dadurch genährt, dass Spanien zwei Jahrzehnte lang größter Hilfsempfänger der EU war und Europa viel zu verdanken hat. Mehr als 120 Milliarden Euro regneten seit dem EU-Beitritt 1986 über dem Königreich der Sonne aus den Brüsseler Subventionstöpfen nieder. Aufbauhilfe für ein lange Zeit unterentwickeltes Mittelmeerland, das inzwischen zum europäischen Wohlstandsschnitt aufschloss. Und das sich des modernsten Autobahn- und Schnellbahnnetzes auf dem Kontinent erfreut. Kein Wunder, dass drei Viertel der 47 Millionen Spanier sich klar zur EU-Mitgliedschaft bekennen. Nur an der Rolle Spaniens und Zapateros im europäischen Machtgefüge gibt es erhebliche Zweifel: Sieben von zehn Spaniern glauben nach einer neuen Umfrage, dass ihr Land "wenig oder keinen Einfluss" auf die EU-Entscheidungen hat. Und etwa genauso viele meinen, dass Zapatero die spanischen Interessen unzureichend in Brüssel vertritt.In der Tat zeigt Zapatero auf außenpolitischer Bühne wenig Profil, wirkt schüchtern und unbeholfen. Verlegen, zuweilen einsam blättert er auf EU-Gipfeln in seinen Akten, während andere Regierungschefs zusammenstehen, auch mal ohne Dolmetscher versuchen, Kompromisse zu finden. Zapatero, der kein Englisch spricht, macht dann gute Miene zum schwierigen Spiel, setzt sein berühmtes nettes Lächeln auf. "Bambi" wird er wegen seiner Unschuldsmiene in seinem Heimatland gerufen. Oder neuerdings, als lebendes Gegenbild zu "Superman", auch "Sosoman" - "soso" heißt im Spanischen "fade" oder "langweilig".Innenpolitisch hat es der seit sechs Jahren regierende Zapatero schon länger schwer. Der Sozialdemokrat, der 2004 als Hoffnungsträger die Macht übernahm, stürzte ins Umfragetief: Drei von vier Spaniern trauen ihm nicht zu, das Land aus der schweren Krise zu führen: Fast 20 Prozent Arbeitslosigkeit, ein drohendes Haushaltsdefizit von zehn Prozent oder auch mehr, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, Bildungsmisere - Spaniens wirtschaftliche Erholung, prophezeien Analysten, wird länger brauchen als bei den EU-Nachbarn.Zwar ließ Zapatero vorübergehend die Welt durch gesellschaftliche Reformen im katholischen Spanien aufhorchen: Homo-Ehe, Express-Scheidung, Frauenrechte, Familien- und Pflegehilfen, Liberalisierung der Abtreibung. Der Sozialdemokrat baute sein eher konservatives Land zu einem modernen Staat um.Doch bitter notwendige wirtschaftliche Reformen, die Förderung neuer Branchen, verschlief er: Als Spaniens Konjunkturmotor, der ungesund aufgeblähte Immobilienmarkt, kollabierte, stürzte gleich die ganze Wirtschaft ab - auch der Tourismus, das zweite Standbein Spaniens. Und ein Ersatzmotor, der das Land aus dem Tal ziehen könnte, ist nicht in Sicht. "Ich bin Optimist", versichert Zapatero gerne. Doch das wird seinen sinkenden Stern wohl auch nicht retten.

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