Dauer-Smog sorgt am Neckar für dicke Luft

Stuttgart · Erneut hat Stuttgart ein Feinstaub-Problem. Aber die Politik scheut Maßnahmen.

In Stuttgart gilt seit Donnerstag wieder Feinstaub-Alarm. Es ist der Appell, das Auto stehen und den Kaminofen aus zu lassen. Der letzte Alarm war gerade zwei Tage her. Die Stuttgarter werden hart geprüft. Einzig die Aussicht, an "Alarmtagen" für den Preis eines Kindertickets den ÖPNV nutzen zu können, erhellt die Stimmung. Ansonsten herrscht mittlere Depression beim Thema Feinstaub.

Nicht nur internationale Firmen, auch die Touristiker sehen die regelmäßigen Negativ-Schlagzeilen mit Sorge. Der "Feinstaub-Alarmismus beschmutzt das Image von Stuttgart", meinte kürzlich der Lobbyist der Haus- und Grundbesitzer, Klaus Lang (SPD). Sabine Hagmann vom Handelsverband berichtet: "Wir bekommen viele Klagen von Geschäften, die sagen, dass sich der Alarm negativ auswirkt." Doch das Rathaus bleibt stur: "Das Problem ist nicht der Feinstaubalarm, sondern der Feinstaub."

Stadt und Land stehen unter Zugzwang. Anwohner zeigten Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Regierungspräsident Wolfgang Reimer (beide Grüne) an wegen "Körperverletzung mit Todesfolge und unterlassene Hilfeleistung". Zu Tode kam niemand, aber der Handlungsdruck steigt. Die Umwelthilfe klagt, die EU prüft. Das grün-schwarze Landeskabinett reagiert - aber sachte - und beschloss am Dienstag ein Verbot kleiner Feuerungsanlagen an Tagen mit Feinstaubalarm. So genannte Komfort-Kamine sind nach den Autos die zweitwichtigste Quelle für Feinstaub in Stuttgart. An 50 bis 60 Tagen im Winter muss das romantische Feuerchen nun ausbleiben. Etwa 20 000 holzbefeuerte Öfen in Privathaushalten sind betroffen. Doch wer kontrolliert? Und reicht das?

Aktuell kursiert ein Gutachten des Verkehrsministeriums, wonach die "Blaue Plakette" die wirkungsvollste Maßnahme im Kampf gegen die schädlichen Mini-Partikel darstellt. Diese bekommen nur Diesel-Fahrzeuge, die die Euro-6-Norm erfüllen, also als besonders schadstoffarm gelten, sowie Benziner ab Euro-3-Norm. Ministerpräsident Winfried Kretschmann wäre sofort dabei, aber der Bund lehnt die Plakette ab; Land und Stadt sind die Hände gebunden. Die Grünen appellieren an Vize-Premier Thomas Strobl (CDU), sich in Berlin dafür stark zu machen. Die Chancen stehen indes mäßig.

Verbotsdiskussionen führt die Politik nie gern. Schon vage Andeutungen provozieren Abwehrkämpfe: Der baden-württembergische Handwerkstag hält Fahrverbote für die letztmögliche Lösung. Strikte Verbote träfen kleine Betriebe und Arbeitnehmer. Nicht nur die autobranchennahe Dekra, auch Stimmen aus AfD und CDU schlugen einen Evergreen vor: Wasser auf die Straßen, um die Schmutz-Partikel zu binden. Das freilich hat noch nie funktioniert. CDU-Verkehrspolitiker Felix Schreiner schlägt kluge Verkehrsführungen vor - alles, bloß keine Fahrverbote. Hinweise, auch Elektroautos trügen durch Reifenabrieb zur Belastung bei, provozierten Umweltschützer. "Es ist unverantwortlich, die Gefährdung der Gesundheit der Bürgerschaft durch zu hohe Feinstaub- und Stickstoffdioxidemissionen einfach wegzureden und der heiligen Kuh Autoverkehr zu opfern", erklärte der BUND. "Damit die EU-Grenzwerte eingehalten werden, muss der Autoverkehr um die Hälfte reduziert werden. Das geht nicht ohne Verkehrsbeschränkungen." Davor fürchten sich alle.

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Was Feinstaub mit dem Wetter zu tun hat Viel Feinstaub befindet sich bei Inversionswetterlagen in der Luft: In windschwachen Hochdrucklagen verhindert warme Luft in höheren Schichten, dass sich die Schadstoffe verteilen. Also bleiben Abgase in Bodennähe. Daher ist der Feinstaub im Stuttgarter Talkessel so oft ein Problem. Aber auch auf dem Land gibt es Feinstaub, der auch in der Landwirtschaft entsteht.

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