Das Märchen vom Öko-Strom aus der Wüste
München · Märchen beginnen traditionell mit drei Worten, die auch im Fall der Wüstenstrom-Initiative Desertec angemessen sind: Es war einmal . . . Da war also die Vision, den Energieverbrauch in der EU bis 2050 zu 15 Prozent durch Wüstenstrom aus der Sahara zu decken.
Gestartet wurde das Vorhaben, für das anfangs die riesige Investitionssumme von 400 Milliarden Euro veranschlagt war, vor fünf Jahren von deutschen Konzernen, allen voran der Versicherer Munich Re. Nächsten Montag werden sie ihren Plan bei einem Treffen in Rom aller Voraussicht nach begraben. "Dem kann man nicht widersprechen", heißt es aus dem Kreis der beteiligten Konzerne .
Offiziell geht es in Rom um die Finanzierung der Planungsgesellschaft Desertec Industrial Initiative (Dii). Die hat ein Jahresbudget von zwei Millionen Euro - eine Summe, die beteiligte Konzerne wie die Deutsche Bank oder RWE aus der Portokasse bezahlen könnten. Nach bisheriger Planung fielen pro Unternehmen dem Vernehmen nach jährlich 100 000 Euro an. Aber nicht einmal die will jeder Gesellschafter berappen. Die Dii selbst äußert sich nicht zu ihrer Zukunft. Man werde dem Treffen in Rom nicht vorgreifen, sagte ein Sprecher. Ähnlich zurückhaltend äußern sich Konzerne , die Diii-Mitglied sind. Nur hinter vorgehaltener Hand werden Einzelne gesprächiger. Es liege nicht am Geld, sondern am verlorenen Glauben, stellt ein bisheriger Befürworter der Industrie-Initiative klar.
Das kommt nicht überraschend. Eine Erosion ist seit Monaten sichtbar. Erst wandten sich Mitgliedskonzerne wie Siemens, Bosch oder Eon ab. Dann kündigte Dii-Chef Paul van Son für 2015 seinen Wechsel zum Dii-Gesellschafter RWE an. Ein Nachfolger wurde nicht bestellt, weil man einen solchen nicht mehr braucht, sagt ein Insider. Vorausgegangen waren dramatische politische Veränderungen. Der arabische Frühling, Terror und Bürgerkriege in vielen der für Sonnenkraftwerke vorgesehenen Staaten lösten erhebliche Unsicherheit aus. Niemand will auf diesem Fundament noch einen großen Teil der Energieversorgung Europas errichten. Zum anderen gibt es in Europa inzwischen vielfach einen Überfluss an heimischem Öko-Strom. Deutschland knabbert an der Energiewende. Staaten wie Spanien und Italien kriseln und haben kein Geld für Visionen in der Sahara . Aus all diesen Wahrheiten wollen die Dii-Gesellschafter nun in Rom die Konsequenzen ziehen.
Die Dii selbst mit ihren 20 Beschäftigten hofft, als Beratungsgesellschaft für Staaten der Mena-Region (Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten) überleben zu können. Die berät sie bereits verschiedentlich, allerdings unentgeltlich. Das soll sich ändern. Für eine Anschubfinanzierung könnten die Dii-Gesellschafter zum mutmaßlichen Abschied noch sorgen. Ob sie dazu bereit sind, um zumindest das Gesicht zu wahren, ist aber nicht sicher.
Dabei ist grüner Wüstenstrom keine Fata Morgana. In den Mena- Staaten sind derzeit 68 solcher Projekte fertig oder im Bau, so die Dii. 2015 kämen die Sonnen- und Windkraftwerke auf eine Kapazität von rund vier Gigawatt und würden damit so viel Strom liefern wie vier Atomkraftwerke, Tendenz steigend. Die Öko-Energie wird vor Ort dringend benötigt. Wüstenstrom für Wüstenländer, lautet nun die Devise. Von der Idee, ihn nach Europa zu transportieren, haben sich die Planer ehrlicherweise verabschiedet.