Das Koalitionsversprechen Tarifeinheit ist so gut wie tot

Berlin · Zum ersten Mal steht ein verabredetes Vorhaben der großen Koalition vor dem Scheitern: Das Versprechen, ein Gesetz zur Tarifeinheit vorzulegen, um das Tarifgeschehen „in geordnete Bahnen zu lenken“. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) steht vor der Frage, ob sie überhaupt noch einen Entwurf vorlegen soll.



Im April schon hatte sie zurückgezuckt, obwohl die Tarifeinheit ursprünglich zusammen mit dem Mindestlohn eingebracht werden sollte. Doch Verdi-Chef Frank Bsirske hatte Bedenken angemeldet, womit sich Ärger andeutete. Zwar sind im DGB einige für die Tarifeinheit, etwa die Eisenbahnergewerkschaft EVG oder die IGBCE. Doch am Mittwoch beschloss der DGB eine Formulierung, die dem Vorhaben nur noch einen kleinen Türspalt offen lässt: "Der DGB und seine Gewerkschaften lehnen jegliche Eingriffe in die bestehenden Regelungen ab, die das Streikrecht oder die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie beeinträchtigen."

In etlichen Branchen gibt es kleine, mit dem DGB konkurrierende Gewerkschaften, so zum Beispiel bei der Bahn die GdL, die 75 Prozent der Lokführer vertritt. Sie setzt regelmäßige höhere Lohnzuschläge durch als die große EVG. Grund: Lokführer können leicht den ganzen Betrieb lahmlegen. Für die Bahn stellt es sich so dar, dass konkurrierende Gewerkschaften sich auf ihre Kosten bei Tarifforderungen überbieten. Eine ähnliche Macht haben auch die Pilotengewerkschaft Cockpit und der Marburger Bund der Krankenhausärzte. Die Tarifeinheit sollte nun regeln, dass in einem Betrieb immer nur der Tarifabschluss der größten Gewerkschaft gilt, frei nach dem Grundsatz: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Kleine Spartengewerkschaften stünden so im Abseits.

GdL-Chef Claus Weselsky bedankte sich denn auch sogleich beim DGB: Das sei die unmissverständliche Forderung an die große Koalition, "diesen Unsinn fallen zu lassen". Auch Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, setzt nun auf ein Scheitern. Er sagte der SZ: "Die Geschäftsgrundlage des Koalitionsvertrages, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Tarifeinheit gemeinsam anstreben, ist mit dem DGB-Beschluss endgültig entfallen." Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hingegen blieb bei seiner Forderung an die Regierung, "unverzüglich eine gesetzliche Regelung entsprechend dem Koalitionsvertrag" vorzulegen.

Es sieht nicht so aus, als ob sie erhört würde. Kanzlerin Angela Merkel, so ist aus Koalitionskreisen zu hören, will sich ungern vom DGB vorwerfen lassen, sie unterhöhle die Gewerkschaftsfreiheit, schon gar nicht für ein Vorhaben, mit dem sie dem DGB eigentlich helfen will. Und Unions-Fraktionschef Volker Kauder fürchtet Verfassungsklagen. Auf keinen Fall dürfe die Regierung eine weitere Niederlage in Karlsruhe erleiden, sagte er kürzlich. DBB-Chef Dauderstädt kündigte gestern aber an: "Wir würden ein solches Gesetz auf jeden Fall anfechten und dafür sorgen, dass es Karlsruhe vorgelegt wird." Die Tarifeinheit sei mit dem Grundgesetz "stark kollisionsgefährdet".

Nahles ist nun in der Zwickmühle: Wenn sie einen Gesetzentwurf vorlegt, bringt sie die Gewerkschaften gegen sich auf, nun sogar inklusive DGB; wenn nicht, die Arbeitgeber. Die Stellungnahme des Ministeriums glich gestern einem Eiertanz. Von "sorgfältiger Prüfung" war die Rede und dass es um verfassungsrechtlich komplexe Zusammenhänge gehe, bei denen man "größtmögliche Übereinstimmung zwischen allen Akteuren erzielen" wolle. Genau die aber gibt es nicht im Ansatz.

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