Das Gesundheitswesen kann so nicht genesen

Berlin · Im Schnitt 18 Mal pro Jahr suchen Patienten in Deutschland einen niedergelassenen Arzt auf. Das ist ein Spitzenwert. Statistiken weisen für andere europäische Ländern deutlich niedrigere Werte aus. Doch lässt sich daraus ableiten, dass die Mediziner ohne Grund kontaktiert werden? Der Chef der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), Ingo Kailuweit, meint: Ja. "Die Hälfte der Arztbesuche ist überflüssig", sagte Kailuweit der "Bild"-Zeitung. Belege nennt er nicht. Es gibt auch keine.

Der europäische Vergleich taugt schon deshalb wenig, weil sich die medizinischen Versorgungsstrukturen von Land zu Land teils erheblich unterscheiden. In Deutschland ist der ambulante und stationäre Bereich immer noch klar getrennt. Anderswo dagegen sind ambulante Behandlungen in Kliniken normal. So läuft man Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Kailuweits steile These dient eher dazu, ein Problem anzusprechen, das tatsächlich stärker diskutiert werden sollte: die galoppierenden Kosten im Gesundheitswesen. Wegen der immer neuen Beschäftigungsrekorde und deshalb üppigen Beitragseinnahmen blieb dieser Sachverhalt lange unter der Decke. Zudem gab es fünf Jahre in Folge keine Beitragserhöhung. Erst Anfang 2016 stieg der durchschnittliche Zusatzbeitrag wieder leicht an.

Dabei wird es allerdings nicht bleiben. Nach der Prognose des Spitzenverbandes der Krankenkassen (GKV) könnte der durchschnittliche Zusatzbeitrag in den nächsten Jahren jeweils um etwa 0,2 Prozent zulegen. Mit den vielen Arztbesuchen hat das freilich weniger zu tun. Kostentreiber sind in erster Linie neue und immer teurere Medikamente, aber auch politische Vorgaben zur Verbesserung der Behandlungsqualität. Besonders in dieser Wahlperiode wurden dazu zahlreiche Gesetze initiiert: das Versorgungsstärkungsgesetz, das Präventionsgesetz, die Pflegereform und die Krankenhausreform, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Vieles davon ist vernünftig und richtig. Aber eben nicht zum Nulltarif zu haben.

Mit kostendämpfenden Maßnahmen - aus Patientensicht immer ein Ärgernis - hat sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU ) dagegen stark zurückgehalten. Auf der Habenseite steht praktisch nur die Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel, das noch auf Gröhes Vorvorgänger Philipp Rösler (FDP ) zurückgeht. Allerdings erweist sich dieses Instrument zunehmend als stumpfes Schwert, weil Pharmafirmen ihre Preise nur für jene Medikamente beibehalten müssen, die bereits vor 2011 auf dem Markt waren. Für neue Präparate gilt die Auflage nicht.

KKH-Chef Kailuweit ist indes davon überzeugt, dass Gröhe zu größeren Sparanstrengungen verdammt wäre, wenn sich die Arbeitgeber an den Kostensteigerungen beteiligen müssten. Die würden schon Druck machen. Wenigstens damit liegt er nicht ganz falsch. Tatsächlich finanzierten die Arbeitgeber bis Mitte 2005 den Beitrag für die gesetzlichen Kassen zur Hälfte mit. Die andere Hälfte trugen die Arbeitnehmer . Seitdem wurde die Finanzierung kraft Gesetz zulasten der Arbeitnehmer verschoben. Derzeit zahlen beide Seiten einen Grundbeitrag von je 7,3 Prozent vom Bruttolohn. Für Arbeitnehmer kommt der Zusatzbeitrag von aktuell durchschnittlich 1,1 Prozentpunkten hinzu. Tendenz steigend. Womit sich freilich auch von dieser Seite der Reformdruck erhöht. Spätestens im Wahlkampf 2017 dürfte das Thema eine große Rolle spielen.

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