Das Erbe einer großen Tradition

Meinung · Heute endet im Saarland der Steinkohle-Bergbau. Damit wird eine Industrie-Epoche abgeschlossen, die das Land stärker geprägt hat als alles andere. Ohne den Bergbau gäbe es das Saarland als eigenes Bundesland nicht. Ohne die Kohle wäre die Stahlindustrie an der Saar nicht entstanden, für die das "schwarze Gold" und das lothringische Minette-Erz unverzichtbar waren

Heute endet im Saarland der Steinkohle-Bergbau. Damit wird eine Industrie-Epoche abgeschlossen, die das Land stärker geprägt hat als alles andere. Ohne den Bergbau gäbe es das Saarland als eigenes Bundesland nicht. Ohne die Kohle wäre die Stahlindustrie an der Saar nicht entstanden, für die das "schwarze Gold" und das lothringische Minette-Erz unverzichtbar waren. Auf die Saar-Gruben waren auch die Keramik- und Glasbrenner angewiesen, weil sie den Energieträger aus den Tiefen der Erde als Ersatz für schwindende Holzkohle-Vorräte benötigten. Viele Eisenbahn-Verbindungen, aber auch die kanalisierte Saar wären ohne die Kohle nicht vorstellbar.Der Rohstoff verschaffte über Jahrhunderte den Menschen Arbeit und Einkommen. Er lockte zahllose Männer aus den Nachbarregionen Pfalz, Eifel und Hunsrück an, die von der kargen Landwirtschaft ihrer Heimat nicht mehr leben konnten. Aus Dörfern wurden Städte, neue Siedlungen entstanden. Noch heute ist das Saarland eine der am dichtesten besiedelten Regionen Deutschlands. Der Bergbau veränderte auch die Landschaft. Halden, Absinkweiher und Fördertürme werden noch lange das Gesicht der Region prägen und kommende Generationen daran erinnern, unter welchen Mühen, aber auch mit welch hoher Ingenieurleistung ihre Vorväter die Schätze der Erde hoben.

Prägend für das Saar-Revier war auch, dass die Steinkohle-Förderung seit 1751, als Fürst Wilhelm-Heinrich zu Nassau-Saarbrücken alle Kohlegruben an sich zog und damit den systematischen Aufbau des Industriezweiges einleitete, weitgehend unter staatlicher Leitung zentralisiert war. Damit einher gingen eine öffentliche Fürsorge und die frühe soziale Absicherung der Bergleute. Auf der anderen Seite sahen sie sich auch der Willkür der jeweiligen Herren ausgesetzt, die je nach Kassenlage in fernen Metropolen wie Berlin und Paris die Arbeitsleistungen der Bergleute heraufsetzten oder die Löhne senkten. Das führte schon früh zu Ärger mit der Obrigkeit.

Die Menschen übertrugen die Solidarität und die Kameradschaft, die für ihre gefährliche Arbeit im Berg unerlässlich waren, in den Lebensalltag. Sie schlossen sich zusammen und entwickelten schnell ein feines Gespür für die Ungerechtigkeiten fremder Herren. Der Geist des Nikolaus Warken (1851-1920), des ersten engagierten Arbeiterführers an der Saar, war noch immer zu spüren, als vor gut 50 Jahren der Schrumpfungsprozess des deutschen Steinkohle-Bergbaus eingeleitet wurde und sich die Bergleute gegen soziale Einschnitte und Entlassungen zur Wehr setzen mussten. Er lebte auch fort, als in der großen Auseinandersetzung mit der Bundesregierung im Jahr 1997 Autobahnen besetzt wurden und saarländische Bergleute Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn auf die Pelle rückten. Man erkannte Kaiser und Kirche zwar immer an, zeigte der Obrigkeit aber stets ihre Grenzen auf und forderte Respekt ein.

Dieses Einstehen füreinander prägte den Alltag der Bergleute und ist tief in der saarländischen Lebensart verwurzelt. Die Gemeinschaft im Verein - ganz gleich, welchem Hobby man nachgeht - ist selbstverständlich und gehört zum Heimatgefühl dazu. Wer Hilfe braucht, kann sich mehr als anderswo auf die Gemeinschaft verlassen. Niemand soll "ins Bergfreie" fallen.

Genauso beherrscht und konzentriert, wie die Bergleute ihrer Arbeit nachgingen und wie sie ihr Leben meisterten, sahen sie auch der Realität ins Auge, als der Widerstand gegen ihr Tun wegen der zahlreichen Erderschütterungen wuchs. Nach dem großen Beben am 23. Februar 2008 war ihnen klar, dass das Ende der Traditionsbranche an der Saar eingeläutet war. Auch wenn mancher vielleicht mit dem Schicksal haderte - man fügte sich diszipliniert ins Unausweichliche.

Ausdauer, Fleiß, Rücksichtnahme, Kollegialität und Verlässlichkeit sind die Tugenden, die der Bergbau uns gelehrt hat. Sie werden weiterleben - auch nach der letzten Schicht. Das Land kann mit Stolz auf seine Traditionen in die Zukunft schauen. Denn "Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme", wie der Staatsmann Thomas Morus sagte.

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