Das Ende der Privatsphäre

Vor einem Jahr wurde ein junger Mann aus North Carolina über Nacht weltberühmt. Der 29-jährige Computer-Experte Edward Snowden hatte enthüllt, dass der amerikanische Geheimdienst NSA klammheimlich ein globales Netz totaler Überwachung aufgespannt hat.

Die Vereinigten Staaten, die so gern mit demokratischer Attitüde auf der Weltbühne agieren, mussten in aller Öffentlichkeit Späh-Methoden eingestehen, die an totalitäre Regimes erinnern. Diese Blamage löste bei der US-Administration erst Bestürzung aus - und dann Zorn.

Seit dieser Zeit gilt Snowden in seiner Heimat als "Verräter". Die Regierung Obama reagierte in der Art nordkoreanischer Despoten und ließ ein Trommelfeuer von Verleumdungen auf Snowden eröffnen. "Feigling" war noch der harmloseste Vorwurf, und er war auch der verkehrteste. Denn der frühere Mitarbeiter von CIA und NSA stellt das genaue Gegenteil dar: Snow den war mutig bis zum Übermut, er zeigte ein Maß an Zivilcourage, das Menschen auf der ganzen Welt Respekt abnötigt.

Seit einem Jahr wissen wir also, dass die Geheimdienste alles über uns und unsere Kommunikation wissen wollen. Sie bedienen sich dabei hochtechnisierter Systeme, ausgefeilter Software und Heerscharen zum Schweigen verpflichteter Mitarbeiter. Ob Telefonate oder Briefe, E-Mails oder SMS, per Festnetz, Smartphone, Tablet oder PC, ob in Amerika, Brasilien, Deutschland oder Pakistan: Die NSA, ihre britische Hilfskraft GCHQ, der israelische Mossad oder auch der deutsche BND sind ganz Ohr und immer dabei. Sie haben damit das Ende der Privatsphäre eingeläutet.

Leider haben viele Menschen noch nicht begriffen, wovor Autoren schon vor Jahrzehnten in hellsichtigen Werken wie "Fahrenheit 451", Schöne neue Welt" oder "1984" warnten: Die Würde des Menschen ist antastbar. Zunehmend wird die Gesellschaft politisch unmündig gehalten und in Konformität gepresst, offen verstößt die Staatsgewalt sogar gegen die Verfassung. Der Einzelne ist - in Amerika schon Realität - anonymen Mächten mit Geheim-Gerichten ausgeliefert. Er hat keine Chance mehr, sich gegen das kafkaeske System zur Wehr zu setzen. Dank Snowden wissen wir zudem, dass die Völkergemeinschaft vor der Weltmacht USA kuscht, dass in Europa der Untertanengeist regiert und auch Berlin ein Ort voller Angsthasen ist.

Es ist kein Geheimnis mehr: Die digitalen Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Aber wir sollten zumindest versuchen, sie in die Schranken zu weisen. Wenn es nicht gelingt, den unheimlichen Hightech-Apparat der Geheimdienste institutionell zu kontrollieren, wird die Freiheit der Menschen bald grenzwertig sein. Der gläserne Bürger lässt sich nicht mit der Würde vereinbaren, die einen Staat erst zur Kulturnation macht .

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