Das Damen-Doppel muss den Brexit wuppen

London · Mit der Wahl ihres ersten Reiseziels sendet Theresa May ein klares Signal: Deutschland ist der wichtigste Partner. Gerade eine Woche im Amt, besuchte die britische Premierministerin gestern Berlin und saß unter anderem mit Angela Merkel beim Abendessen zusammen. Die Kanzlerin dürfte auf das gute Besteck bestanden haben, empfangen wurde der Gast mit militärischen Ehren. Diese Vorzugsbehandlung erscheint kaum verwunderlich: Deutschland betrachtet Mays Visite zum einen als Wertschätzung. Zum anderen hat die Bundesregierung großes Interesse daran, dass Großbritannien nach dem Brexit-Votum ein enger Verbündeter bleibt.

Noch wichtiger als für Merkel ist es aber für May, beim ersten Aufeinandertreffen eine gute Beziehung aufzubauen. Die Konservative will die Bande zum Kontinent nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen wieder stärken. Und natürlich ist sie abhängig von den europäischen Partnern, vorneweg Deutschland und Frankreich, um in den anstehenden Brexit-Verhandlungen Zugeständnisse zu erreichen. "Dieses Land wird aus dem Brexit einen Erfolg machen, weil wir draußen in der Welt sein werden", sagte May gestern im Parlament kurz vor ihrer Abreise.

Man darf Vergleiche zwischen den Politikerinnen ziehen, schon deshalb, weil sie sich aufgrund ihrer Biografien geradezu aufdrängen: Pastorentöchter, ehemalige Generalsekretärinnen der konservativen Partei, unaufgeregte Pragmatikerinnen mit protestantischem Arbeits-Ethos. Mindestens so zahlreich wie die Parallelen sind allerdings die Unterscheide. Nicht zuletzt in der Flüchtlingspolitik verfolgten May und Merkel komplett unterschiedliche Strategien. Doch darum wird es gestern kaum gegangen sein. Zu bedeutend sind die Aufgaben, die auf Großbritannien und die EU zukommen. Zugang zum europäischen Binnenmarkt, aber ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger? Genau das sei ihr Ziel, bekräftigte Theresa May gestern. Die Frage, wie das gehen soll, dürfte auch am Abend in Berlin aufgekommen sein.

"M&M", wie Journalisten das Duo nennen, sind auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen. Es kann funktionieren, muss aber nicht. Zwei starke Charaktere treffen aufeinander, die den Brexit verhandeln müssen, den doch beide nie wollten. May stand auf der Verlierer-Seite der Europafreunde, ist aber entschlossen, den Mehrheitswillen des Volkes umzusetzen. "Brexit heißt Brexit", so ihr Mantra. Gestern kündigte die Regierung folgerichtig an, dass London nicht wie geplant im Juli 2017 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen werde - zu beschäftigt mit dem Austritt aus der Gemeinschaft. Merkel wiederum hatte nach dem Votum der Briten klargemacht, die Verhandlungen würden keinesfalls "nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt".

Die neue britische Regierung ist gerade dabei, sich einzufinden, das dauert. Überhaupt muss das Land zur Ruhe kommen nach dieser außergewöhnlichen Zeit voller Rücktritte, Schmierkampagnen, Lügen und Kontroversen. Auf May warten Herausforderungen, die massiver kaum sein könnten: EU-Gegner und -Freunde versöhnen, die konservative Partei einen, die gespaltenen Gesellschaft versöhnen, Schottland im Königreich halten, die sozialen Spannungen entkräften - mal ganz abgesehen vom normalen Tagesgeschäft und den Brexit-Verhandlungen.

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