Das arabische Vakuum

Meinung · Der Zorn hat sich entladen. Die Proteste gegen das anti-islamische Schmähvideo beginnen abzuebben. Doch die Folgen können die Welt verändern. In Tunesien und im Sudan verringert Washington seinen diplomatischen Stab. In anderen Ländern der Region gleichen die US-Botschaften Festungen

Der Zorn hat sich entladen. Die Proteste gegen das anti-islamische Schmähvideo beginnen abzuebben. Doch die Folgen können die Welt verändern. In Tunesien und im Sudan verringert Washington seinen diplomatischen Stab. In anderen Ländern der Region gleichen die US-Botschaften Festungen. Sie liegen an der neuen Frontlinie in einem von Extremisten auf beiden Seiten heraufbeschworenen Krieg der Kulturen. Stoppen die USA ihr friedliches Demokratie-Engagement im Herzen der islamischen Welt, dann drohen Brücken zu bersten und Spannungen gefährlich zu eskalieren.Die Ursachen der Krawalle fußen dabei nicht nur in einem latenten Anti-Amerikanismus. Statistiken lassen zwar erkennen, dass nur 15 Prozent der Bevölkerung islamischer Staaten positiv zu den USA stehen, 2009 waren es noch 25 Prozent. Obamas politische Korrekturversuche, etwa die Beendigung von Kriegen im Irak und in Afghanistan und das größere Verständnis für die Palästinenser, kommen da zu spät. Anderseits setzen sich 55 Prozent der Ägypter für weiterhin enge oder noch intensivere Beziehungen zu den USA ein. In Libyen und Tunesien liegen die Sympathien für die Supermacht noch höher.

In vielen Ländern, wie etwa im Sudan, hat das schockierende Mohammed-Video diversen Randgruppen von Unzufriedenen die Chance geboten, ihre Frustrationen über Armut oder Unterdrückung gewaltsam zu entladen. In Libyen, Tunesien, im Jemen, in Ägypten spielt der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung, ein anhaltendes Sicherheitsvakuum als Folge des "arabischen Frühlings" eine entscheidende Rolle.

Von zentraler Bedeutung ist dabei aber die Zwiespältigkeit der neuen Herrscher in Ägypten. Als Folge einer toxischen Mischung von Schwäche, Angst, Opportunismus und Komplizenschaft riefen Präsident Mursi und seine Moslembruderschaft erst nach zwei Tagen die sonst nicht repressionsscheuen Sicherheitskräfte zum Einschreiten gegen die Gewalt. Und sie kritiserten diese später nur zaghaft. Dahinter steckt wohl die Angst, von den radikaleren Salafisten überflügelt zu werden.

Mursi erweist sich damit aber als zweifelhafter Bündnispartner der Supermacht. Obama stellte dies auch unverhohlen klar. Die USA und EU-Staaten besitzen starke Druckmittel, um Mursi zu staatsmännischem Verhalten zu zwingen. An erster Stelle stehen US-Militär- und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe. Die siechende Wirtschaft Ägyptens braucht dringend Investitionen. Zudem geht es um den Bündnisstatus, um Beistandshilfe, die Obama nun beschneiden kann. Mursi könnte mit seiner zwiespältigen Haltung seine Macht riskieren. Gelingt es ihm nicht, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, wird sich der Zorn vieler Ägypter gegen ihn selbst richten.

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