Dampfwalzen-Demokratie

Meinung · Der Spuk ist vorbei. Der Gemeinderat von Schwäbisch Gmünd hat die Stadt davor gerettet, mit der Lächerlichkeit eines Bud-Spencer-Tunnels leben zu müssen. Diesen Namen wollte ihnen eine anonyme Internet-Gemeinde aufdrücken. Nun sollen alle, versöhnt, in einem Bud-Spencer-Bad plantschen

Der Spuk ist vorbei. Der Gemeinderat von Schwäbisch Gmünd hat die Stadt davor gerettet, mit der Lächerlichkeit eines Bud-Spencer-Tunnels leben zu müssen. Diesen Namen wollte ihnen eine anonyme Internet-Gemeinde aufdrücken. Nun sollen alle, versöhnt, in einem Bud-Spencer-Bad plantschen. Dieser Titel folgt wenigstens einer Minimal-Logik: 1951 besuchte ein Leistungsschwimmer namens Carlo Pedersoli die Stadt, der später ein Italo-Western-Star wurde.Nein, nur fanatischen Humoristen ist erlaubt, die Vorgänge in Schwäbisch Gmünd als Posse zu nehmen. Und sich königlich zu amüsieren, wenn eine Masse von 140 000 Internet-Nutzern eine 60 000-Bürger-Gemeinschaft mit ihrer Mehrheitsmeinung überrennt. Es ist dies eine neue Form von Dampfwalzen- und Fun-Demokratie, die sich das feine Mäntelchen der direkten Demokratie ausleiht. Wir sollten dagegen halten. Denn die spontane Aktion einer Facebook-Gruppe ist alles andere als ein legitimiertes Volksbegehren.

Trotzdem empfinden das viele so, und darin liegt die Gefahr: Dass allem, was auch nur entfernt nach Bürgerbeteiligung aussieht, das Siegel wahrer Demokratie verliehen wird. Seit geraumer Zeit haben "Wutbürger" die Straßen und Internetforen erobert, sogar Regierungen bezwungen: In Bayern setzte ein Volksentscheid ein verschärftes Nichtrauchergesetz durch. In Hamburg brachte eine Bürger-Bewegung die sechsjährige Grundschule zu Fall. Stuttgart 21, Gorleben, das Kraftwerk in Ensdorf, Strommasten, Windparks - überall geraten Großprojekte ins Trudeln und in Verzug, die längst parlamentarische Mehrheiten gefunden haben. Ein Triumphzug der "Wutbürger". Dieser Begriff hat viel Wahres, zeigt er doch, dass Empörung und Protest die Urquelle fast aller Mitsprache-Wünsche sind, weniger die Lust am Gestalten.

In Deutschland funktioniert das Sich-Einmischen als eine Art Notbremse, wenn sich die Politik verfahren hat. Ganz anders in der Schweiz. Dort setzen Volksentscheide den Schlusspunkt unter ein langwieriges Meinungsbildungsverfahren. Dessen aufwendige Organisationsstruktur drosselt Emotionen und Betroffenheiten. Dem hingegen hat sich hier zu Lande eine lokale "Anlieger-Demokratie" etabliert: Der Bauch bestimmt. Entweder den Anti-Kurs oder aber - dafür war Schwäbisch Gmünd ein krasses Beispiel - die Partylaune, mit der durch Wahl legitimierte Bürger-Vertreter unter Druck gesetzt werden.

Wir müssen daran arbeiten, dass das Phänomen sozialer Netzwerke in die bisherigen demokratischen Strukturen Eingang findet. So lange dies nicht geschafft ist, gilt es, Netz-Spaßgemeinden, die unter der seriösen Fahne der Bürger-Partizipation segeln, die Mitbestimmung zu verweigern.

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